Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
Vom Netzwerk:
Welt des Sees von Kind an, er hatte sie satt, er wollte ein anderes Ziel. So nüchtern wie möglich zog er Bilanz. Er hatte den Platz, der ihm zugewiesen worden war oder der ihm zugefallen war und den er ohne Widerstand angenommen hatte, mehr als zwei Jahrzehnte gehalten und verteidigt; er hatte das weniger für sich als für seinen Bruder getan, der konnte sich viele Jahre in seinem Leben nicht versorgen. Jetzt konnte er es, jetzt konnte Jordi gehen.
    Er musste nichts mehr beweisen und niemanden schonen. Die Letzte, auf die er Rücksicht nahm, war Patrizia. Sie wusste, mit wem sie es zu tun hatte. Aber die Leute redeten hinter seinem Rücken. Sie sollte nicht darunter zu leiden haben. Die Liebe zwischen Patrizia und ihm war endgültig und brüchig. Wenn er Sex haben wollte mit anderen Frauen, fuhr er irgendwohin, in ein Urlaubsresort, eines dieser künstlichen Arkadien, und dort bezahlte er, für alles. Er machte das regelmäßig, und er machte es gern. Wirklich gern. Es verpflichtete ihn zu absolut nichts. Eines der wunderbarsten Gefühle, die er kannte.
    Das Auto aus dem See zu bergen, würde seine letzte Arbeit sein. Dann würde er aufhören.
    Er sagte es Patrizia. Sie fragte, was er dann tun wolle, und er redete wieder von Venezuela. Er erzählte ihr noch einmal, obwohl sie die Geschichte schon kannte, wie Jimmy Angel Mitte der Dreißiger, um genau zu sein 1937, auf dem Auyantepui gelandet war, auf dem er eigentlich Gold hatte finden wollen, wie er es angeblich schon einmal gefunden hatte. Davon war er besessen den Rest seines Lebens, vom Goldberg, vom El Dorado. Stattdessen fand er die höchsten Wasserfälle, die es auf der Welt gibt, und die niemand zuvor gesehen hatte, oder jedenfalls kein Weißer, der es außerhalb der Tepui-Welt hätte weitererzählen können, nur dass Jimmy Angels Maschine dummerweise auf dem sumpfigen Plateau des Gipfels steckenblieb, und er, seine Frau und die zwei Begleiter machten sich zu Fuß auf den Weg vom Berg herunter und durch den Dschungel. Elf Tage brauchten sie, bis sie auf eine Ansiedlung von Indios stießen. Das Flugzeug blieb 33 Jahre lang auf dem Berg stehen, dann holten die Venezolaner es vom Gipfel, restaurierten es, und nun konnte man es als Museumsstück einerseits, als Beweis für die Wahrheit von Jimmy Angels Geschichte andererseits auf dem Flugplatz von Ciudad Bolivar bewundern. Das Flugzeug habe ich gesehen, die Wasserfälle nicht, sagte Jordi trocken. Und nach einem Schweigen fügte er hinzu, er könne sich vorstellen, dort jedes Jahr ein paar Monate zu verbringen. In der Gegend um Santa Elena. Patricia hütete sich zu fragen, was er dort tun wollte. Nichts, wäre die Antwort, und keinen Menschen sehen. Nichts und keinen Menschen sehen. Das Gehör schärfen, bis ich den Regen hören kann, wenn er nachts an den Baumrinden nach unten läuft, und den Wind, wie er im Staub umhergeht.
    Besser Spanisch lernen, sagte Jordi, damit ich mich mit meinen Nachbarn verständigen kann. Und der nächste Nachbar wird fünfzehn Kilometer weit weg sein, mindestens.

31
    Am frühen Abend des Pfingstsonntags brach ein Sturm los. Die Tage davor waren mild gewesen, von warmem Wind und klarer Sonne durchdrungen. Jetzt trieb die unstete Luftzirkulation die Wolken vor den Bergen zusammen, wirbelte Staub über die Hausdächer und durch die Straßen, fegte, was nicht festgemacht war – Hüte, Plastiktüten, Speisekarten, Zeitungen, Zigarettenschachteln –, in einer mühelos erscheinenden Levitation von Tischen, Terrassen und Balkonen und wehte die flatterhaften Dinge zuerst landeinwärts, dann auf den See hinaus. Der Wind löschte die Kerzen auf den Kaffeehaustischchen der Promenade, er ließ Gläser umkippen und zu Boden fallen, er zerrte an den Markisen und brachte die Gäste dazu, sich ins Innere der Häuser zu flüchten. Dann machte er sich einen Spaß daraus, Mülleimer umzutreten und durch die leeren, sauberen Straßen Asconas zu rollen.
    Wer konnte, blieb in der Dunkelheit zu Hause und verschloss Fenster und Türen fest. Die bedächtigen unter den Bootsbesitzern vergewisserten sich, dass die Persennings fest verzurrt waren, überprüften die Knoten des Tauwerks und ließen einen zweiten Anker hinab. Was dann folgte, war ein Gewitter, dessen Heftigkeit keiner geahnt hatte. Innerhalb kurzer Zeit trieb der Wind meterhohe Wellen gegen die Ufermauern; die Bäume an der Promenade wiegten sich eine Weile nachgiebig hin und her, mussten dann aber ihre Willfährigkeit aufgeben und ließen

Weitere Kostenlose Bücher