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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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ihre Äste von dem glasharten Ansturm der Böen zersplittern. Schlecht befestigte Dachschindeln wurden gelupft und in den Himmel getragen wie plumpe Vögel, bevor sie auf den Asphalt hinabstürzten und zerschellten; durch Versehen oder aus Nachlässigkeit offen gebliebene Fenster knallten gegen die Rahmen, bis die Scheiben sprangen, Satellitenschüsseln wurden in ihren Halterungen gelockert und wippten gefährlich über Dächern und Balkonbrüstungen, die wenigen Passanten trieben durch die Straßen, mit gereckten und über dem Kopf verschränkten Armen sich schützend aus Angst vor herabfallenden Dingen. Die Wasser des Lago Maggiore waren in seltenem Aufruhr. Der Wind schien sich geteilt zu haben und von mehreren Seiten zu kommen, und in der Mitte des Sees stießen die Böen aufeinander, pflügten durch die Oberfläche und tief hinunter und hoben die Wasser nach oben, wo sie sie gegeneinander verwirbelten. Ein Beobachter vom Ufer oder besser einem geschützteren Punkt des Berghangs aus hätte auseinandersprühende Schaumkronen und sich aufbäumende Wellenkämme zu sehen bekommen – wenn er sich an seinem Aussichtspunkt hätte halten können –, Wellenkämme, die ein Boot auf ihrem Rücken nach oben tragen oder es in ihre innere Rundung aufnehmen würden, um es schließlich im Brechen und Niederrollen unter sich zu begraben; Wellen, die Bojen aus ihren Verankerungen am Seegrund und Trümmer von Stegen und Uferbefestigungen mit sich rissen, bevor sie in einem der unüberschaubaren Strudel versenkt wurden.
    Das alles fand einzig im aufzuckenden Licht der Blitze statt, die sekundenlang das Tosen des Sees erhellten, da die Uferbeleuchtung in der ersten Viertelstunde des Sturms schon ausgefallen war. Am Rand der Uferstraße, nahe dem Magadinotal, schlug der Blitz in einen alten Holzschuppen ein, und die Flammen des brennenden Schuppens züngelten in den schwarzen Himmel wie ein höhnisches Menetekel, bevor der nach dem Gewitter einsetzende Regen sie allmählich löschte. Mit dem Regen wurden die anstürmenden Wellen paradoxerweise noch höher und größer; sie bewegten sich jetzt in beinahe monotoner Mechanik in Nord-Süd-Richtung, als hätten sie ihren Kampf gegeneinander aufgegeben und sich zu einer einmütigen Formation zusammengeschlossen, um in synchroner Bewegung – wie es früher die Söldner mit ihren Rammböcken vor den verriegelten Toren einer Festung taten – die Ufermauer zu überrennen, den Ort zu stürmen, zu plündern und zu verwüsten und ihm dann in einer nachlässigen Bewegung den Rücken zu kehren und ihn gleichgültig zu verlassen. Nur dass dieser Ort ihnen ohnehin eine offene, weitgehend schutzlose und arglose Flanke darbot.
    Es war, als hätte die Sturmflut, die Jordi sich manchmal insgeheim gewünscht hatte, ihr Ziel erreicht und ihre Opfer gefunden.
    Jordi hatte den Spätnachmittag bei seiner Mutter verbracht. Er hatte gewartet, bis Manuel, Dani und das Kind zu einem kurzen Besuch eingetroffen waren. Das Haus wirkte auf eine nachlässige Weise aufgeräumt, und es herrschte eine Stille, von der sie nicht wussten, ob sie sie beruhigend oder beängstigend finden sollten. Eine Lichterkette hing ungeschickt drapiert im Fenster, davor stand eine Pfingstkerze, deren Docht noch nicht gebrannt hatte. Ein leeres Zugeständnis an den Glauben, mit dem Barbara aufgewachsen war, zu mehr war sie nicht fähig, nicht in dem Jahr, in dem ihr Mann gestorben war. Sie war bleich, und ihr Gesicht hatte etwas Zernagtes bekommen, gleichzeitig einen Ausdruck von Fügsamkeit. Die Willenskraft, die sie sonst getragen hatte, schien aus ihr gewichen zu sein und hatte eine verloren wirkende Gestalt zurückgelassen. Nicht einmal das Enkelkind konnte ihr die frühere Freundlichkeit zurückgeben, auch wenn sie sanft um den Jungen bemüht war, ihn mit langsamen Bewegungen umsorgte und ihm mit leiser Stimme spärliche, sorgfältig überlegte Fragen stellte. Für das Kind war alles fremd. Es saß unsicher hinter dem Tisch auf der Eckbank in der Stube und sah sich aufmerksam um, ohne eine Spur der üblichen Ungeduld und Aufgeregtheit. Es hatte jetzt eine Großmutter.
    Nach mehr als einer Stunde verließ Jordi das Grüppchen, wohl wissend, dass sein Bruder bald aufbrechen würde, um den Jungen zu Hause schlafen zu legen, und dass die Mutter dann alleine bleiben würde. Er hatte sie gefragt, ob sie mit zu Patrizia kommen wollte, sie hatte abgelehnt.
    Bei Patrizia hatten sich deren Eltern zu einem Pfingstessen eingefunden, mit

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