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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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bisschen mehr davon hätte als Armut und Obsession. Als er ungefähr bei diesem Gedankengang angekommen war, fühlte Jordi sich ein wenig erleichtert. Der Unfall war nicht gegen ihn gerichtet, und dass sein Arbeitsboot jetzt ein Haufen Schrott war, hieß nicht, dass er mit der Bergung aufhören sollte.
    Trotzdem ging Jordi zwei, drei Tage umher wie in Trance. Sprach kaum mit jemandem, stellte im Kopf Rechnungen an, versuchte sich auszumalen, wie der Unfall passiert sein konnte. Es musste eine Welle von peitschender Kraft gewesen sein, die es fertiggebracht hatte, mit dem Wind als Vorarbeiter das Boot zu heben und auf eine Seite zu kanten. Einmal derart ausgehebelt, hatte ein Pontonboot wie dieses, mit dem ausladenden Kran samt Flaschenzug, keine Chance, sich wieder aufzurichten und ins Gleichgewicht zu kommen. Der Schaden würde sich auf hundertfünfzigbis zweihunderttausend Franken belaufen; dazu kamen die Kosten für die Bergung, die wegen des Gewichts des Bootes und seiner schweren Manövrierbarkeit nicht nur viel Zeit beanspruchen würde, sondern wahrscheinlich brauchte er dazu Spezialgerät.
    Damit hatte Jordi natürlich nicht gerechnet, und kein Mensch, jedenfalls keiner, den er kannte, hatte jemals von einem ähnlichen Unfall gehört. Was die Sache nicht besser machte. Er musste das Arbeitsboot hochholen, einen Bericht für die Versicherung schreiben und sich überlegen, ob das, was er sich vorgenommen hatte, seine Kräfte nicht doch überstieg. Es war zu ahnen, dass die oben liegende, rechte Hälfte des Bugatti verrottet war, dass vielleicht nur der Chassisrahmen übrig war. Wenn der zuunterst liegende Teil auch nur ein Skelett war, konnte er sich die Rettungsaktion sparen oder den Bugatti gleich wieder ins Wasser werfen, als Algenfänger und Markierung für die Tieftaucher. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Er war entmutigt. Und müde.
    Einen Verlust wie diesen konnte sich seine Firma eigentlich nicht leisten. Wenn die Versicherung zahlte, würde er den finanziellen Schaden verkraften können, das Arbeitsboot war trotzdem weg. Es war, wie die meisten Geräte, mit denen er arbeitete, von ihm und seinem Vater speziell für ihre Bedürfnisse gebaut worden. Es würde lange dauern, ein ähnliches oder das gleiche Boot zu konstruieren und zusammenzuschweißen. Allerdings haftete die Versicherung logisch nur für Schäden, die im Rahmen seiner Arbeit passierten, und die Bergung des Bugatti war zwar ein Auftrag, aber wie man es drehte und wendete, war es einer, den er sich selber gegeben hatte, und fiel also eher auf die Seite eines Hobbys. So konnte man es als Versicherungsagent betrachten, wenn man böswillig war. Jordi ahnte, dass er Gelegenheit haben würde, in Engelszungen zu reden. Und als ob das Wort Engelszungen, das er beschwörend im Geiste wiederholte und wiederholte, sobald er an den Herrn Brenner von der Versicherung dachte, Ähnliches nach sich zog, traf in diesen Tagen ein Brief von Miguel ein, unerwartet, aber doch endlich, in dem, wie innerhalb des Unerwarteten zu erwarten war, von
Angel Falls
die Rede war.

33
    In dieser Nacht träumte Jordi vom Berg Auyantepui, den er nie gesehen hatte außer auf Dutzenden von Fotos und ein Mal auf einem schmierigen Gemälde, das in der Rezeption des Hotels El Dorado hing, in dem er in Caracas ein paar Nächte verbracht hatte, und dem er nie so nahe gewesen war wie zu der Zeit in Santa Elena, als ihn die Nachricht von Lucas Tod erreichte.
    Er träumte, dass er über den Urwald flog, zusammen mit Miguel in einer zweisitzigen Propellermaschine; Miguel hatte einen eigenartigen Helm auf, er war mit einem Riemen unterm Kinn festgemacht, und links und rechts wuchsen ihm softe Riesenohrmuscheln aus einer Art Schaumstoff, die Ohren waren grün und hatten ein irre feines Lochmuster. Miguel sah aus wie ein Karnevalspilot, er saß am Steuer, Jordi rechts neben ihm. Ein Licht umgab sie, das die Farben satter aussehen ließ als normal, besonders intensiv und leuchtend, und das die Konturen schärfer als sonst ausprägte. Es war in etwa so, als flögen sie durch einen nachkolorierten Fünfziger-Jahre-Film. Die mäandernden Flußläufe unter ihnen und die Baumwipfel traten so klar hervor, dass Jordi die Blätter einzeln zählen konnte und meinte, die Fasern der Lianen und selbst die Fischschuppen unter Wasser erkennen zu können. Miguel – der im wirklichen Leben überhaupt nicht fliegen konnte – steuerte sie in fröhlichen

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