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Bugschuß

Bugschuß

Titel: Bugschuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hardy Pundt
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darzustellen, hatte sich als schwieriges Unterfangen erwiesen.
    Selten war er mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Die Augen der Human Resources Manager, wie sie plötzlich hießen, schienen ihm immer wieder zu zeigen: Die wollen mich nicht. Sie zogen ihre Schlüsse: In einer Diktatur Widerstand gegen ungerechte und freiheitsberaubende Maßnahmen, Regelungen und Gesetze zu leisten war durchaus löblich – aber war gerade so einer nicht prädestiniert, im Betrieb aufmüpfig zu werden? Einer, der im Betriebsrat agitierte? Der zu Streik aufrief? Das war in der Demokratie doch ungleich einfacher, oder? Da musste man vorsichtig sein.
    Er hatte sich schließlich abgefunden, hatte um eine Frühverrentung gekämpft, ein sehr bescheidenes Auskommen dabei erreicht, war aber danach mit den Kräften erneut am Ende gewesen. Den Kampf um eine Zusatzrente wegen politischer Haft focht er immer noch aus – aber er war fast so weit, ihn aufzugeben. Er wurde ja auch nicht jünger …
    Kurze Zeit hatte er sich gehen lassen, hatte zu trinken begonnen, alles scheißegal. Das jahrelange politische Engagement unter schwierigsten Bedingungen mit dem Resultat mehrjähriger Haft hatte aus seiner heutigen Sicht wenig Sinn gehabt. Im Osten waren viele froh, die Betonkopfregierung los zu sein. Man konnte nun dem Konsum frönen, solange es das Portemonnaie mit den in Westmark umgetauschten Scheinen zuließ. Das blendete natürlich längst nicht alle, aber viele. Im Westen gab es indes nur Wenige, die begriffen, was dahintersteckte, wenn ein Ostdeutscher meinte, er habe sich die Wende anders vorgestellt.
    Er wusste, dass Alkohol sein Untergang sein würde, riss sich am Riemen. Die Resignation blieb. Die Erinnerungen. Die Haft. Die zerbrochene Ehe. Eine Tochter, von der er seit vielen Jahren nichts mehr gehört hatte.
    Erst in diesem einzigartigen Landstrich im Nordwesten hatte er einen Ankerpunkt gefunden. Rieke war verantwortlich dafür, dass er hier gestrandet war. Lange Wanderungen am Deich in Ostfriesland oder über einsame Straßen in der Marsch und der Geest waren für ihn eine Art Seelenbalsam gewesen. Dieses Land erschien ihm weit genug entfernt von seiner Vergangenheit, mit der er sich zunächst sehr intensiv auseinandergesetzt hatte. Manchmal, in Augenblicken, in denen er sich allein fühlte und sich selbst infrage stellte, kochte alles in ihm hoch. Zumal Rieke längst Geschichte war. Bislang war es ihm gelungen, ein Überkochen zu verhindern. Manchmal fiel es schwer, mitunter hatte er das Gefühl, er müsse etwas in die Luft sprengen. Doch was? Es war alles so lange her!
    In diesem weiten, flachen Land konnte er ganz allein sein, den Gedanken nachgehen, darüber sinnieren, wie er die letzten Jahre seines Lebens verbringen, die vielen negativen Erlebnisse verarbeiten und der irdischen Existenz vielleicht doch noch ein paar positive Seiten abgewinnen könnte.
    Eine Aushilfsstelle im Emder Hafen hatte es ihm ermöglicht, einen kleinen, alten Polo zu kaufen mit dem Ziel, das Land zu erkunden. Nachdem er dem Schild ›Großes Meer‹ gefolgt war, hatte es ihm der Binnensee sofort angetan. Am Deich war es windig und rau, das gefiel ihm. Hier am Großen Meer konnte es ebenso ruhig und beschaulich sein. Er hatte alle Straßen befahren, alle Wege erwandert, sich ein Paddelboot geliehen und die Seen und Kanäle erforscht. Selbst im Herbst, wenn der Nebel über dem Wasser waberte und außer dem Flügelschlagen der Enten und Wildgänse, die irgendwo im Nichts umherflogen, kaum etwas zu hören war, empfand er es als wohltuend schön, wenigstens für Momente. Es zählte nur das Jetzt, verdrängt war die Vergangenheit, sie schlummerte, doch zu spüren war sie immer, sie nagte.
    An einem Sonntagnachmittag war er mit seinem alten Polo ans Große Meer gefahren, hatte sich in der Gaststätte Meerhaus eine Tasse Tee und ein Stück Apfelkuchen mit Schlagsahne gegönnt. Sein knappes Budget ließ so etwas nur ab und an zu. Nach einiger Zeit war eine Gruppe von Sportlern in die Gastwirtschaft gekommen. Er hatte sie gleich als ein wenig zu laut empfunden, es war später Vormittag und beim Hereinkommen bestellten sie sofort eine Runde Bier. Sie saßen nicht weit von ihm an einem großen, runden Tisch und er konnte jedes Wort verstehen. Zwar hatte er einen Roman dabei, nahm immer einen mit, da er allein war, doch jetzt fand er es interessant, den Männern am Nebentisch zu lauschen. Sie schienen die weitere Tagestour zu erörtern, waren offenbar

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