Bugschuß
Ulferts sah sie entgeistert an.
»Eilsen hat mir zugesichert, ich kann angesichts meiner vorzeitig abgebrochenen Kur jederzeit nach Hause gehen, wenn es zu viel wird.«
»Wird’s dir zu viel?«
»Weißt du«, erwiderte Tanja Itzenga sehr nachdenklich, »mir hat Juist unglaublich gut getan. Das möchte ich nicht gleich alles wieder in ein paar Tagen verspielen.«
Ulferts überlegte, pflichtete ihr dann bei: »Das verstehe ich.«
Itzenga sah ihn an: »Mir ging es wirklich dreckig. Diese Geschichte mit Bruno, der Tod meines Vaters … dieser Fall mit der Reemts und diesem miesen Bankertypen. Ach, was soll’s, ist abgehakt. Danach war ich aber am Ende, ist ja einiges schiefgelaufen, dienstlich, privat … Es geht bergauf, Ulfert, aber jetzt nicht zu viel auf einmal.«
»Auf keinen Fall! Ab nach Hause mit dir und …«
»Ja?«
»Wenn irgendetwas ist, wenn ich dir helfen kann …«
»Danke, Ulfert, ich weiß, ich kann mich auf dich verlassen. Auch wenn du verantwortlich dafür bist, dass ich schon wieder hier bin.«
»Das war mehr meine Verzweiflung mit diesen ganzen … Geschehnissen!«
»Bis morgen, Kollege!«
»Denk’ heute Abend an die Insel, nicht an den Fall!«
»Ich werd’ mir Mühe geben.«
Tanja Itzenga verließ das Büro und Ulferts sah ihr versonnen hinterher. Als die Tür ins Schloss gefallen war, verscheuchte er den Bildschirmschoner seines Computers, indem er die Maus bewegte, und wendete sich wieder der Arbeit zu.
18
Kommissar Ulferts klingelte an der Tür eines Mehrfamilienhauses. Den Namen Jande hatten er und die Hauptkommissarin schnell gefunden. Gernot Jande betätigte den Türöffner, er bewohnte mit seiner Frau eine Wohnung im zweiten Stock. Der Kommissar schob die Tür auf und machte sich zusammen mit seiner Kollegin daran, die drei Treppen zu nehmen, ehe sie an die Tür zu Jandes Wohnung gelangten, in der dieser sie erwartete.
»Ulferts, Polizei Aurich, und Hauptkommissarin Itzenga«, stellte er sie vor. Das Wort ›Mordkommission‹ vermied er, seinen Ausweis hatte er nur kurze Zeit unter Jandes Nase gehalten.
»Jande, Gernot Jande«, der Mann sah den behäbigen Kommissar und Itzenga etwas verunsichert an. »Kommen Sie rein.«
Wortlos geleitete Jande die Polizisten in das Wohnzimmer. Hier stand ein neu aussehendes Ledersofa nebst Sesseln. Eine Schrankwand mit zentral angeordnetem und extrem schmalem LCD-Fernseher schmückte eine, das Sofa mit einem großen Gemälde darüber die andere Seite des Raumes. Geradeaus ging es auf einen großen Balkon, diese Seite wurde fast vollständig von einem Fenster und der Glastür eingenommen. Das Gemälde über dem Ledersofa zeigte eine holländische Tjalk, die bei stürmischem Wetter durch die schwere See des Ijsselmeers pflügte. Ulferts gefiel es, er mochte diese Art Bilder.
»Tee?«, fragte Jande.
»Danke, Sie müssen nicht extra Tee aufsetzen«, antwortete Ulferts.
»Lassen Sie mal, es ist Teezeit. Ich mache schnell eine Kanne.«
Schnell?, dachte Ulferts, wie sollte man ostfriesischen Tee schnell machen? Schließlich musste man Wasser kochen, das Teegeschirr bereitstellen, für Kluntje und Sahne sorgen, den Tee lange genug ziehen lassen. Je nach Vorgehensweise war der Tee daraufhin in eine wärmespeichernde Kanne umzugießen oder die Teekanne auf ein Stövchen zu stellen, um das Getränk warmzuhalten und Tee nachgießen zu können. Die Variante, die Teekanne auf dem Kessel mit köchelndem Wasser stehen zu lassen, war mühselig, musste man doch für jede Tasse in die Küche gehen. Deshalb war sie nicht mehr besonders verbreitet. Die Mutter eines Bekannten von Ulfert hatte den Tee immer auf diese Weise serviert. Er war beeindruckt gewesen, dass der Tee nie bitter wurde, obwohl er die ganze Zeit auf dem Kessel zog. Es gab noch weitere Trinkgepflogenheiten: Tee wurde so lange nachgegossen, wie der Trinker den kleinen Teelöffel nicht in die Tasse gestellt hatte. Stand der Löffel in der Tasse, wusste der Gastgeber, der Gast wünscht keinen weiteren Tee – darüber brauchte man keine Worte verlieren.
Als Jande mit einem Tablett zurückkehrte, erwachte Ulferts aus seinen Gedanken. Offenbar hatte auch Tanja Itzenga irgendetwas beschäftigt. Auf Jandes Tablett standen drei Tassen des rot-weißen Geschirrs, das unter dem Namen ›Ostfriesische Rose‹ in der Region und darüber hinaus bekannt war. Das Stövchen und die Kanne, die auf diesem stand, waren ebenfalls aus Porzellan und zeigten dasselbe Muster. Das Sahnekännchen und die
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