Bugschuß
den Rücken nicht eben besser. Irgendwann, so um 2000, habe ich den Hausmeisterjob bekommen, auf der Werft, in einem Bürogebäude im Hafen. Meine Kenntnisse in der Elektrotechnik kamen mir wohl zugute, ich konnte alle Fragen beantworten, die im Zusammenhang mit der Reparatur von Stromleitungen, Lichtanlagen oder Sicherungskästen gestellt wurden.« Wieder lächelte er schwach. »Ich habe über die Krankenkasse sogar Massagen bekommen. Es wurde wesentlich besser mit dem Rücken. Das war gut für den Job, mit dem ich mich arrangiert hatte. Eine gute Mischung aus sitzen, stehen, laufen, heben … mal das Grobe, mal Tiepelarbeit. Da habe ich auch wieder mit dem Rudern angefangen. Wenn man es richtig macht, ist das sehr gut für die Rückenmuskulatur.«
»Wieder?«
»Ich war früher, als Jugendlicher, Leistungssportler. Wir wollten ganz hoch hinaus – die DDR war die Spitze im Rudern!«
»War sie ja fast überall, sportlich betrachtet«, merkte Itzenga an.
»Im Herbst und Winter laufe ich jetzt sogar wieder. Hilft gegen den Bauchansatz und wenn es auf dem Wasser zu ungemütlich wird oder wenn es friert, ist das Laufen eine guter Ausgleich. Im Verein hat sich vor einiger Zeit eine Laufgruppe gegründet, wir suchen aber noch Leute, deshalb haben wir sogar eine eigene Homepage, um zu werben. Da laufe ich mit und es geht gut, der Rücken macht keine Probleme.«
»Sehr vernünftig, Sport soll ja gesund sein«, entgegnete Ulferts auf diese Bemerkung Stöwers’. Er musste sich immer aufraffen, mal laufen zu gehen, ein wenig Fitness verlangte man einem Kommissar schließlich schon ab.
»Aber zurück zu Ihren Jobs. Wie ging das weiter?«, schaltete sich Tanja Itzenga wieder ein.
»Ich wurde nicht reich, mit dem Millionär hat es nicht geklappt«, wieder zeigte sich diese seltsame Miene, »und, was soll ich Ihnen sagen? Ich kenne mittlerweile so einige, bei denen das nicht funktioniert hat! Die, wenn nicht in der Gosse gelandet, so doch an ziemlich miesen Jobs hängengeblieben sind. Von wegen Mindestlohn … Aber wir wissen ja: Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts. Ich habe mich dran gewöhnt, habe mich hier niedergelassen – letzteres aber vor allem wegen meiner Freundin. Wenn die nicht gewesen wäre, wäre ich in die alte Heimat zurückgegangen. Schlechter war es da nicht! Leider hat die Gute sich nach zwei Jahren mit einem anderen eingelassen.«
»Trauern Sie ihr nach?«, fragte die Polizistin aus Emden.
Stöwers sah an Tanja Itzenga und ihr vorbei. »Das ist wohl kaum sachdienlich. Aber ich habe daran geknapst, durchaus.«
»Sie waren Lehrer«, Itzenga wechselte zum eigentlichen Thema zurück und blätterte dabei in ihren Unterlagen. Sie hatte einen Aktenordner mit zu dem Gespräch genommen. Das war unüblich, aber sie hatte keine Zeit gefunden, die Akte vollständig im Büro durchzulesen. Vor allem aber steckte sie voller detaillierter Angaben, diversen Daten; die konnte man sich nicht alle merken, sie konnten jedoch wichtig für das Gespräch sein.
»Ja, damals war ich Lehrer«, repetierte Stöwers stoisch.
»Physik und …«, wieder schlug sie eine neue Seite auf, »Marxismus-Leninismus?«
»So ist es. Die Physik hat mir, wie gesagt, sehr geholfen, den Hausmeisterjob zu bekommen.« Stöwers’ Sarkasmus war extrem. »Und Marxismus-Leninismus ist ein überaus interessantes Fach, welches einem die Welt erklärt.«
»Aber ein bisschen einseitig, vermute ich?«, ging Ulferts auf Stöwers’ Aussage ein und fuhr fort: »Aber Physik, ich meine, das ist doch an allen Schulen gefragt?«
»Wahrscheinlich, aber nicht nur da. Wenn man weiß dass es einen heftigen Stromschlag geben kann, wenn man Plus und Minus zusammenpackt, hilft einem das sehr bei der Reparatur von Stromleitungen oder dem Anbringen neuer Lampen! Beim Heben schwerer Lasten kann einem die Mechanik helfen … Deshalb habe ich sicher den Zuschlag beim Hausmeisterjob erhalten! Ich gebe zu, die tieferen Erkenntnisse der Kernphysik, der Optik oder der Thermodynamik brauche ich nicht jeden Tag, aber der Alltag steckt auch so voller Physik, egal, wohin sie sehen! Die meisten wissen das nur gar nicht.« Stöwers machte eine Pause, setzte aber sogleich wieder an, in neuer Tonlage: »Probleme hat mir eher das andere Fach bereitet, das machte viele misstrauisch. Vor allem solche, die gar nicht wussten, was sich dahinter verbirgt, wie komplex das Ganze ist und welche gesellschaftlichen Fragen aufgeworfen werden. Ich hätte ohne Weiteres
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