Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
wurden subversive Bilder gemalt, da machte unter den Schulbänken Orwells »1984« die Runde. Alle Seiten dieser Schwarte bestanden aus Fotos vom Original. Da Fotopapier dazu neigt, sich nach der Zeit zusammenzurollen, vor allem, wenn es ein bisschen feucht ist, handelte es sich um eine sehr unhandliche Ausgabe. Und dann kam – das war dann 1977/78 – die Zeit der Biermann-Resolutionen, die von Bank zu Bank gereicht und von uns unterschrieben wurden. Ich vermute mal, dass der Letzte, in dessen Hände sie gerieten, sie dann einfach entsorgte.
Hinter mir lagen SladeSweetSilverconventionDeep PurpleFleetwoodMacTomSawyerunddiedreiMusketiere. Vor mir lagen DylanCohenStonesHesseSalingerKerouac. Und Mädchen, unter deren wallenden Gewändern sich kolossale Überraschungen verbargen. Kurz: Vor mir lag eine schöne Zeit! Und diese Zeit fing beschissen an.
GST , »Gesellschaft für Sport und Technik«. Das erste, was wir bekamen, waren Uniformen. Graue natürlich. Und die AK 47, Kleinkaliber. Tags Exerziertraining, nachts Nachtruhe. Doppelstockbett. Angebergeschichten von Geschlechtsverkehr. Und ich, wenn man es genau nimmt, ein jungfräulicher Haufen Elend. Meine größte Angst: Irgendwann kommen sie mir drauf.
Wir waren sechzehn und sollten in drei Wochen unsere Lehre antreten. Vorher aber eine Ausbildung ganz anderer Art machen: eine VA , vormilitärische Ausbildung. Sein Name war Sebastian Reichel. Er hatte eine gekräuselte Matte, sah aus wie Jimi Hendrix und spielte Gitarre. Er war der Sohn von Käthe Reichel, der Brecht-Schauspielerin, und dem italienischen Maler Mucchi, der noch in hohem Alter nicht nur sehr schöne Bilder, sondern auch weltweit Kinder erzeugte. Bastl war also der Halbbruder von Mathias mit dem Walkman. Er sang den Blues wie kein anderer. Und er hatte »Narziss und Goldmund« gelesen wie kein anderer, war aber trotzdem ein überaus lustiger Zeitgenosse. Beim Exerzieren trat er aus der Reihe heraus, blähte die Backen auf und blies einen Marsch wie Gert Fröbe in »Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten«. Die Vorgesetzten, die uns später als Lehrmeister an der Berufsschule wiederbegegnen sollten, winkten ab und ließen ihn machen. Sie riefen ihn Schwejk 2, was in diesem Fall nicht als Kompliment gemeint war.
Ich konnte bei Bastl mit der Geschichte meiner Großmutter punkten, dafür lieh er mir »Narziss und Goldmund«. Ich las damals zum ersten Mal in meinem Leben etwas von Hesse, was ich natürlich niemandem sagte. Stattdessen behauptete ich, mein Exemplar zu Hause vergessen zu haben. Bastl und ich wurden Freunde.
Bastl saß bei einer Kellerparty bei Ute Henkel in der Wysbierstraße mit der hübschen blonden Annette Pfeifer in der Badewanne und spielte Radio mit ihren Brustwarzen. Boris Naujoks brachte das Wasser, das er in einem Kessel warm gemacht hatte, und kippte es in regelmäßigen Abständen nach, auch er, wie wir alle, verliebt in Annette.
Zwei Jahre später, so um meinen 18. Geburtstag rum, kam Ute aus der Buchbinderei zu mir und erzählte von seinem Selbstmord. Er hatte ein Schild an die Tür gehängt: »Bitte nicht klingeln, kein Licht anschalten.« Dann hatte er den Gashahn aufgedreht. Keiner von uns wusste, warum. Aber ahnen taten wir es schon.
Moppel war schon älter und passte eigentlich gar nicht zu uns. Aber seine Eltern hatten eine Badewanne mit fließend warmem Wasser aus der Wand.
Wir standen damals auf Badewannen. Überall, wo wir die Gelegenheit hatten, nahmen wir ein Bad, manchmal heimlich und manchmal mit Ansage. Unser Ziel war es, Mädchen in die Badewanne zu kriegen. Wenn ich es mir recht überlege, sind die meisten Freunde damals aus ihren Elternhäusern verwiesen worden, weil es bei unseren Partys immer wieder zu Überschwemmungen kam. Der toluolsüchtige Tiefdruckerkollege zum Beispiel versuchte dem Rausschmiss durch Neutapezieren zu entgehen. Vergeblich. Aber auch die legendäre Party von Boris in der Nichtraucher-Wohnung seiner Eltern führte zum sofortigen Wohnungsverweis mit gegenseitiger Lossagung.
Sicher auch weil Kotzi dabei gewesen war, der immer dabei war, auch wenn ihn keiner kannte, und der Kotzi genannt wurde, weil er überall hinkotzte. So eben auch auf der Party bei Boris. Während Boris den fantastischen Körper von Sabine Zausch mit einem großen Frotteehandtuch trocken rubbeln durfte, und ich, Seite an Seite mit Thomas Dörste, die Bar mit den heiligen Westspirituosen, die Boris’ Stiefvater, ein weltbekannter Tubaspieler
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