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Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Titel: Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leander Haußmann
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»WANN HABEN SIE ANGEFANGEN zu trinken?«, fragt mich das großäugige Geschöpf, das mir auf dem Stahlrohrstuhl gegenübersitzt.
    Ich muss nicht lange überlegen. »Das war am 30. Juni 1974 um 14.30 Uhr. Im ›Westend‹ in Hirschgarten. Nach der Schule. Mit vierzehn – das war, nachdem wir alle unsere Personalausweise bekommen hatten – standen einem genau drei Bier zu. Guido Kossack, Dietmar Golletz und Christian Ehrenreich waren dabei. Mein bester Freund Guido hatte immer einen roten Kopf. Er litt wohl unter seinem Ego, wahrscheinlich unter seinem Eierkopf mit den strohigen blonden Haaren. Im ›Westend‹ lernte er, die ersten Lektionen in Kummer wegtrinken. Christian Ehrenreich war ein kleiner, witziger Geselle, der eine verkümmerte Hand hatte. Die war praktisch im Kleinkindstadium geblieben und gelähmt, aber er konnte sehr geschickt damit umgehen. Dietmar Golletz kam aus sogenannten asozialen Verhältnissen, er hatte gerade seinen Zeigefinger verloren, weil er in dem Moment, als Thomas Knorr – oder war’s Henrik Lemke? Oder keiner von beiden? – die Axt auf den auf einem Baumstumpf zurechtgelegten Ast sausen ließ, noch kurz entschlossen ein paar Sägespäne wegschnippen wollte. Olaf Raschke band dann in Tateinheit mit den Hase-Brüdern den Finger an einen langen Stock und erschreckte damit die Mädchen auf dem Schulhof.«
    »Sie erzählen gerne, Herr Haußmann, nicht wahr?«, stellt die Großäugige eher fest, als dass sie fragt.
    »Ja, das ist ja mein Beruf«, sage ich. Angeber, denke ich.
    »Aber das gehört jetzt hier nicht her«, sagt sie freundlich.
    »Wieso nicht? Wenn das hier eine Suchttherapie ist, dann … «
    »Nein, nein«, unterbricht sie mich, »das hier ist eine Suchtdiagnose, die Therapie kommt später. Noch wissen wir ja gar nicht, ob wir ein Problem haben, an dem wir arbeiten müssen. Trinken Sie seit diesem Tag im Juni 1974 regelmäßig?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine jeden Tag.«
    »Nein. Jeden Tag trinke ich erst seit … da muss ich mal nachdenken.«
    Die Großäugige lässt mich nachdenken, dabei zeigt sie viel Geduld.
    »Bei der Armee«, sage ich.
    »Wie alt waren Sie da?«
    »Achtzehn.« Ich denke kurz nach und werde unsicher. »Stimmt nicht, angefangen zu trinken, also trinken würde ich das eigentlich nicht nennen, habe ich mit sechzehn, während der Druckerlehre.«
    »Wieso sind Sie Drucker geworden?«, fragt mich die Großäugige.
    »Berufsberatung«, sage ich. »Mit vierzehn musste ich zur Berufsberatung, wie alle Vierzehnjährigen in der DDR . Da wurde dann ins Zeugnis geschaut und die Zensuren wurden mit den Hobbys abgeglichen. Ich habe gerne gezeichnet und gelesen, mein Berufswunsch schwankte zwischen Comiczeichner und Abenteuerromanschriftsteller. Also riet man mir zum Drucker-Beruf. Für Buch- oder Offsetdrucker waren meine Zensuren zu schlecht, aber für Tiefdrucker reichte es wohl.«
     
    Wir arbeiteten im Dreischichtsystem. Von 6:30 bis 14:30, von 14:30 bis 22:30 und von 22:30 bis 6:30. In der Berliner Druckerei auf der Dresdner Straße, die gibt es nicht mehr, also die Druckerei, die Straße schon.
    Alles dort war fettig. Mit Batzen Fett wurden die rotierenden Teile eingeschmiert, aber auch Mitteilungen an die Wände gepappt. Und das Papier, mit dem die Tische im Pausenraum gedeckt waren, wurde auch mit Fett befestigt, damit es nicht rutschen konnte. Die Farben wurden mit Lösungsmitteln verdünnt, die aus riesigen Hähnen in der Wand in unsere Kanister flossen. Toluol und Xylol hießen diese Chemikalien und viele Kollegen waren süchtig danach. Ein Freund von uns nahm sich davon flaschenweise mit, füllte sie in einen Inhalator für Asthmatiker und zog sich das Zeug bei sich zu Hause rein. Und mein Chef, Maschinenführer Meister Knippert, legte sich zur Mittagspause in die Farbkammer, wo man mit den Lösungsmitteln die Gerätschaften säuberte, und wurde high, bevor er einschlief. Schutzmasken gab es nicht. Und wenn, dann hätte sie niemand aufgesetzt.
    Boris Naujoks und ich waren Meister Knippert zugeteilt. Als er uns am ersten Tag auf sich zukommen sah, winkte er sofort ab und hörte nicht mehr auf, den Kopf zu schütteln. Der zweite Maschinenführer, Herr Müller, gab uns nicht auf. Seine Vorträge über den Speckstein, den man zum Schleifen der Rakel verwendete, sind legendär. Die Maschinen waren laut, alte Dinger von 1935, die wie Lokomotiven dampften und rotierten und doch nicht von der Stelle kamen. In diesem Lärm erklärte uns Müller

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