Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
an der Staatsoper, auf seinen Tourneen zusammengetragen hatte, fast vollständig leer soff und anschließend, noch mit dem Barhocker am Arsch, schnarchend am Boden lag, eng umschlungen, wie gesagt mit Thomas, bei dem dann später Boris aus oben erwähntem Grunde einziehen musste, und zwar in die sogenannte Bude, einen Partyraum unterm Dach von Dörstes Elternhaus, in dem er, obwohl schon 25, noch wohnte, kotzte Kotzi.
Die Party bei Moppel war eine andere Party. Anwesend waren zwei ahnungslose Mädchen aus der Provinz, die wir aufgegabelt hatten, und die nun, fasziniert und verschreckt zugleich, in der Couchgarnitur von Moppels Eltern saßen und sich gegenseitig ins Genick kicherten. Boris hatte die Idee, dass wir – also er, Frank Korb und ich – den Song »Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück« mit den Fingern schnipsend und nach einer vorher eiligst einstudierten Choreografie performen sollten. Das Ganze nackt, versteht sich. Wegen der Erotik, aber auch um Moppel und seinen Freund Ulf daran zu hindern, auf ihren Brettern zum x-ten Male wahlweise »Heute hier, morgen dort«, »Es wollt ein Bauer früh aufstehn« oder »Der Rattenfänger von Hameln« zu klampfen. Es war die Zeit, so um den März herum, wo das Festival des politischen Liedes stattfand, ein Musikfestival der FDJ mit Musikern auch aus der internationalen Folk- und Liedermacherszene. Da traten dann auch schon mal Nana Mouskouri, Hannes Wader, Mikis Theodorakis oder Zupfgeigenhansel neben den einheimischen Stars wie Oktoberclub , Ute Freudenberg und Band oder wie die auch immer hießen auf. Wir waren in Ermangelung anderer, besserer, coolerer Musikfestivals immer dabei und versuchten uns vor Leuten, die sich »Schottenschule« oder »Hans, die Geige« nannten, in Acht zu nehmen.
In dieser Nacht hatten wir keinen Erfolg. Die Mädchen aus der Provinz flohen. Wahrscheinlich ins »Haus der jungen Talente« zu Brummtopf , einer Folkloregruppe aus der Bundesrepublik. Sie kannten die Einlasser und zogen Männer in FDJ -Hemden anscheinend nackten vor, was ich im Nachhinein gut verstehen kann.
Der Mangel an Badewannen oder, präziser ausgedrückt, der Mangel an Gelegenheiten, sich ordentlich waschen und gleichzeitig entspannen zu können, hat bei mir zu einem großen Badebedürfnis geführt, das ich inzwischen mit einer eigenen Badewanne mehr als befriedigen kann. Aber damals war dieses Möbel ein beinahe unerreichbarer Luxus. So wie ein eigenes Telefon oder eine Innentoilette.
Während meiner Studentenzeit war ich einmal bei einer sehr bekannten DDR -Schauspielerin zu Gast. Das auch nur, weil ihre Tochter in meinem Studienjahr war. Sie besaß ein Prachtstück an Badewanne.
Ich konnte nicht anders und täuschte einen Toilettengang vor. Nach einem ein- bis zweistündigen Vollbad kam ich wieder zurück. Noch eine Woche lang roch ich so gut wie meine Gastgeberin.
20 DIE RETTUNG DER WELT
DIE RETTUNG DER WELT
20 DIE PATIENTENZIMMER HABEN keine Badewannen. Vielleicht hat man darauf verzichtet, damit sich da keiner reinlegen und sich die Pulsschlagadern aufschneiden kann. Es gibt jedenfalls nur eine Badewanne, unten in einem Badezimmer, für das man sich den Schlüssel geben lassen muss.
Ich genieße es, in dieser Badewanne zu liegen, die groß genug ist, um mich richtig schön auszustrecken. Der Nagel meines großen Zehs ist viel zu lang, ich knibbele ihn ab und lege ihn auf den Badewannenrand. Ich schließe die Augen. Auf dem Flur brüllt der Borderliner einen Heroinsüchtigen an, keine Ahnung, warum. Aber hier in der Badewanne bin ich sicher, wie in einer Alien-Transportblase.
Ich fühle mich, als sei ich schon seit Jahren in dieser komischen Klinik, die mir immer mehr wie eine Einrichtung der Scientologen vorkommt. Hier läuft die Zeit anders. Hier komme ich zum ersten Mal in Kontakt mit so etwas wie Psychotourismus. Klinik-Hopping. Es gibt hier richtige Psychoprofis, die das schon seit Jahren machen und genau wissen, wie man sich verhält. Denen muss man nicht sagen, wo das Zimmer für die Urinabgabe ist, die wissen das, die kennen sich aus, die haben eine gute Krankenkasse und leben fernab der Gesellschaft in einer Parallelwelt.
Abends stehe ich mit einigen von ihnen draußen in der Kälte auf der Raucherinsel und plane mit ihnen eine Revolte gegen das Ärzte- und Pflegerregime. Oder ich stehe mit den Trauernden, Burnies und Junkies vor dem Teeautomaten. Ich weigere mich beharrlich, an den Gruppentherapien teilzunehmen.
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