Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
stiftete ich den Revolver dann meiner Fiesco-Inszenierung in Weimar. Ich überließ ihn dem Tyrannen, der ihn an einem Gürtel trug – und er war da gelandet, wo er hingehörte: im Theater, wo man ihm den nötigen Respekt zollte und ihn entsprechend ernst nahm.
17 STEFFI
STEFFI
17 DER MÜGGELSEE IST DIESIG. Kein Schiff. Nebel. Ich bin auch nicht gerade in bester Stimmung. Das Knie schmerzt. Der Rücken tut weh. Ich versuche, verschiedene unangenehme Gedanken zu vertreiben, die sich wie immer in meinem Gehirn breitmachen wollen.
Das Handy klingelt. Steffi ist dran. Sie will mir berichten, wie sie den Film findet, den sie gestern gesehen hat. Ich habe Angst, dass er ihr gefällt. Er gefällt ihr nicht. Das wiederum gefällt mir. Es geht um einen dieser Filme, über die man sich nicht traut zu sagen, dass man sie hasst, weil alle um einen herum so verrückt werden vor Glück. Der Film, über den wir jetzt reden, spielt in der DDR .
»Die Mundwinkel der Hauptdarstellerin hängen die ganze Zeit auf Halbmast«, sage ich.
»Sie ist zu Tode betrübt«, sagt Steffi.
»Weil sie in einer Diktatur lebt«, sage ich.
»Da musste man immer flüstern, weil man abgehört wurde«, sagt Steffi.
»Ich kann mich eigentlich nicht erinnern, je geflüstert zu haben«, sage ich.
So geht das eine ganze Weile hin und her. Es ist schön, wenn man jemanden hat, mit dem man sich so herrlich empören kann. Ich überlege, ob Steffi einen Ausreiseantrag hatte. Sie war jedenfalls mit einem zusammen, der einen hatte. Aber ob man nun mit einem zusammen war, der einen hatte, oder man selbst einen hatte, war unerheblich, es war gleichermaßen interessant für den Staat.
»Und dann …«, sagt Steffi, »… wie die reden, in dem Film.«
»Nicht viel jedenfalls«, sage ich.
»Wegen der Tristesse in der Diktatur«, lacht Steffi.
»Film wie trocken Brot, hat Sven kürzlich gesagt«, sage ich. Ich höre einen Blob, Steffi öffnet eine Flasche Wein. »Findest du nicht, dass die DDR eine ziemlich verschwatzte Angelegenheit war?«
»Ja«, ruft Steffi, »verschwatzt, das trifft es.«
»Das ›Café Mosaik‹, ›Die Tute‹, das ›Fengler‹, die ›Schoppenstube‹, die immer geöffneten Türen in Prenzelberg, die Kantinen in Gera, Leipzig, Schwerin, Zeitz, Greiz und Parchim …«
»Wir waren Bienenschwärme in ihren Bienenkörben, summend und brummend und um sich selbst kreisend. Was haben wir gequatscht!«
»Ein Land voller Unzufriedener und Eingeschnappter. Aber eben auch lustig. Jeder sagte doch wenigstens einmal am Tag Scheiß-Osten. Auch laut. Es war ein einziges Scheiß-Osten-Gerufe.«
»Jetzt, wo es nicht mehr gebraucht wird, fehlt mir dieses Wort richtig«, sagt Steffi.
»Ich habe Osten durch Gott ersetzt«, sage ich.
»Du sagst dann Scheiß-Gott?«
»Genau. Den Osten gibt es nicht mehr, Gott schon.«
Steffi sinniert. »Darf man heute Scheiß-Gott sagen?«
»Genauso wenig, wie man damals Scheiß-Osten sagen durfte.«
»Wir haben es aber trotzdem gesagt. Wenn sie jeden verhaftet hätten, der Scheiß-Osten gesagt hat, dann hätten sie …«
Ich unterbreche Steffi: »Wenn der Bus nicht kam: Scheiß-Osten. Wenn das Ost-Fernsehprogramm Scheiße war, was es meistens war: Scheiß-Osten. Wenn es regnete und die Sonne nicht schien: Scheiß-Osten. Es wurde natürlich auch mal differenziert, zum Beispiel Scheiß-Ost-Musik. Denn wehe, jemand brachte zu einer Party eine Ost-Platte mit Ost-Musik mit – in diesen von Westlern gemachten Ost-Filmen hören sie ja immer Ost-Musik: die Puhdys oder Frank Schöbel. Zu einer Party, da war ich zwanzig, hatte mal irgendein Idiot, der nicht aus unserem Kreis war, eine Puhdys -Platte mitgebracht. Jörn, der Gastgeber, nahm sie ihm sanft aus der Hand und warf sie wortlos aus dem Fenster des zehnten Stocks einer Neubausiedlung in Friedrichshain. Dann zog Jörn seine weißen Antistatik-Handschuhe an und legte seine Led Zeppelin auf. Diese Zeppelin-Fans waren eine ganz eigene Sorte von Fans, in sich gefangen irgendwie …«
»Die Vierzig-zu-sechzig-Regelung«, sagt Steffi.
»Aber da hat sich ja eh keiner dran gehalten.«
»Bei Ost-Musik tanzte einfach keiner.«
»Das waren überhaupt noch Zeiten. Erst was Schnelles zum Auffordern, dann noch was Schnelles zum Eintanzen und dann was Langsames, ein Nackenbeißer. Oder der Hinterm-Ohr-Fummler.«
Krächzendes Lachen am anderen Ende der Leitung. »Puller-Muschi-Tanz«, sagt Steffi und lässt es gluckern.
18 SEITDEM WIR SAUFEN
SEITDEM WIR SAUFEN
18
Weitere Kostenlose Bücher