Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
eben.
Warum nur habe ich mich auf dieses Blaublusentheater eingelassen, seufzt er in sich hinein. Diese Chefdramaturgin hinter ihm – bei jeder Regieanweisung bläst sie ihre Backen auf und lässt anschließend langsam und kontrolliert die Luft wieder heraus, sodass er diesen leichten Wind in seinem Genick spürt. Es ist nicht einfach nur ein Kommentar, sondern sie protestiert, und zwar gegen jedes Arrangement, das er den Schauspielern vorgibt. Die Schauspieler da oben, müde Mähren, wollen einfach nur nach Hause. Und das ist nicht metaphorisch gemeint. Nach Hause – das ist das Ziel.
Vor dem Regisseur auf der Bühne also eine Zähigkeit, die gespeist ist aus Müdigkeit, Unsicherheit und der vergeblichen Suche nach dem Sinn des eigenen Tuns. Diese Mischung ist fragil und kann bei unachtsamem Umgang schnell zerbrechen. Der Atem hinter ihm, der da sein Genick kitzelt, kann sich schnell in einen Sturm verwandeln, ihn wegblasen wie einen Kiesel, das weiß der Regisseur. »Barbara«, sagt er, »seien Sie still.«
Die so Angesprochene hält die Luft an, sie will auf keinen Fall ihren hart erarbeiteten Platz, rechts direkt hinter dem Regisseur, verlieren.
»Haben Sie nichts zu tun? Vielleicht Programmheft oder so?«, fragt der Regisseur.
Barbara zieht mit ihren Zähnen ein bisschen Haut von ihrer Oberlippe.
Der Regisseur schiebt mit einer weitläufigen Handbewegung und dem Satz »Seltsamkow und Optimistenko, mal da rüber« die Schauspieler auf der Bühne nach rechts. Als wäre ein Ballon geplatzt, so stark trifft ihn der Atem im Genick.
»Jetzt reicht’s!« Der alte Regisseur dreht sich über die linke Schulter nach hinten. »Barbara!«, schreit er. »Verlassen Sie den Zuschauerraum. Sofort!«
Doch Barbara geht nicht, sie bleibt sitzen. Sie schiebt mit ihren lackierten Fingernägeln die dicke Hornbrille auf ihre Nasenwurzel. »Nein«, sagt sie, »ich bin hier die Chefdramaturgin.«
Der Regisseur seufzt. Dann steht er auf, klettert schnaufend auf die Bühne und tritt sehr dicht, etwas zu dicht, an einen der Schauspieler heran, der die Nähe geduldig erträgt. »Hör mal«, sagt er, »der Momentanikow geht zum Dunkelmanko da rüber, Mister Pont Kitsch hält sich dahinten bei den Stühlen auf, und dann erst kommt Madame Mesallianzowa.«
Niemand sagt etwas. Nur ein leichtes Röhren ist zu hören, von tief unten aus der Dunkelheit, wo sich das Regiepult befindet.
Der Regisseur tut noch eine Weile so, als wolle er nachdenken, dann sagt er gesenkten Kopfes, den Zeigefinger an den Lippen: »Am Ende kommt ihr von allen Seiten, von rechts, von links, von hinten, und in der Mitte trifft sich dann die ganze Scheiße.«
Die Schauspieler nicken, das haben sie verstanden. Lauter, leiser, rechts, links, hinten, vorne, Mitte – diese Art von Regieanweisungen sind ihnen die liebsten. Zufrieden geht ein jeder auf seinen Ausgangspunkt, das Rascheln und Räuspern klingt optimistisch, denn es sieht so aus, als nähere man sich dem Ende der Probe.
Da bricht es sich Bahn: Es beginnt mit einem tiefen Brummen, einem Grollen, es kommt von hinten, von Barbara, die – von der Klavierlampe am Regiepult gruselig beleuchtet – die ganze aufgestaute Luft im Kopf zu sammeln scheint. Es klingt wie ein rostiger Bootsmotor, der angeworfen wird. Dann läuft er zu Hochtouren auf. »Das ist Scheiße«, brüllt sie den Regisseur an. »Scheiße!«, wiederholt sie.
»Barbara!«, brüllt der Regisseur. »Es reicht!«
»Mir schon lange!«, brüllt es zurück. »Was denken Sie denn, was ich hier mache? Ich bin Chefdramaturgin! Chefdramaturgen sind auch nur Menschen, verdammt noch mal!« Barbara bebt.
»Chefdramaturgin oder nicht Chefdramaturgin. Raaausss!!!«, schreit der Regisseur.
Barbara steht nun vor der Entscheidung, dem Regisseur an die Kehle zu springen oder den Raum zu verlassen, weinend zum Direktor zu rennen und sich danach mit einem Gläschen Wein in der Kantine zu beruhigen. Barbara entscheidet sich für Letzteres. Sie rauscht durch die Stuhlreihen auf die grünen Lichter zu, auf denen Notausgang steht, knallt gegen die ausgeleierten Sitzflächen der Klappstühle, die nie ganz oben an den Lehnen bleiben wollen, weshalb sie schon überall blaue Flecken an den Schenkeln hat, schmeißt die schwergängige Tür hinter sich ins Schloss und lässt die Absätze auf den mit Marmor gefliesten Fußboden des Wandelgangs knallen wie Maschinenpistolensalven, deren Echos noch für den Bruchteil eines Moments in der Luft hängen bleiben.
Aber
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