Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
nicht mehr so genau.
Die Maschine 5 war ein bisschen dicklich, so wie Meister Knippert. Herrchen und Hund hatten sich im Aussehen angeglichen. Nebenan stand die Maschine 3, noch älter, noch knattriger als die 5, sie hatte nur zwei Farbwerke, eines für Schwarz und eines für Grün, und druckte die »Kleintierzucht«.
Frank Koschnik und ich waren an dem heißen Augusttag nach dem Tod von Elvis die Ersten in der Maschinenhalle, was selten vorkam. Die Mittagspause der Tagesschicht war gerade zu Ende. In dem riesigen Saal schnauften die Maschinen und warteten, dass die Arbeit wieder aufgenommen wurde. Ganz hinten schnurrten die Acht-Werke-Maschinen, durch die die Farben blubberten wie Blut durch den Organismus eines schlafenden Tieres. Denn um Klumpen zu vermeiden, musste die Farbe ununterbrochen in Bewegung gehalten werden: vom Farbkasten durch das Sieb in die Wanne, durch die sich Zylinder drehten, über die seitlich die Rakel glitten, um die Farbe auf das Papier zu befördern.
Frank Koschnik war so eine Huckleberry-Finn-Type, sein Grinsen war so breit wie das von Alfred E. Neumann. Wir standen an einer großen Schalttafel und blickten auf die Klappschalter, die alle nach oben zeigten. Wir sahen uns an. Wir betrachteten die Schalter. Zwei Gehirne, ein Gedanke, ich zögerte. Doch Frank Koschnik sprach das Wort aus, das Wort, vor dem wir uns alle fürchteten und dem sich zu widersetzen, eine große Persönlichkeit erforderte. »Hemmung?«, rief Frank Koschnik.
Hemmung? Ich doch nicht. Ich drückte den ersten Schalter nach unten, Koschnik den zweiten, ich den dritten, er den vierten.
Zunächst passierte nichts. Kein Knall, kein Blitz, kein Piff, kein Puff. Nichts. War es vorher schon still gewesen, so war es nun noch stiller. Die Maschinen hatten aufgehört, zu atmen, ihnen war das Herz stehen geblieben. »Schau mal«, sagte Frank und zeigte auf Maschine 5.
Warum er jetzt noch mehr grinste als eh schon immer, weiß ich nicht, mich ließ es erschauern, was ich sah. Aus allen vier Farbwerken der Maschine 5 kroch die Farbe. Schwarz, gelb, blau, rot. Unaufhaltsam, langsam, die Vier-Farben-Pest. Das passiert, wenn man Maschinen den Strom abschaltet. Es waren die Hauptschalter. Aber es war nicht nur die Maschine 5. Im ganzen Saal wurden die Maschinen zur Ader gelassen. Die Farben entwichen, bis die Maschinen ganz bleich aussahen. Sie vermischten sich auf einer gekachelten Fläche von zehntausend Quadratmetern zu einem einzigen schmutzigen Schwarz-Grau, das uns bis zu den Knöcheln reichte.
»Kollegen!«, rief es in die Stille dieses irgendwie heiligen Moments. »Feierabend!« Die Drucker der Tagesschicht, die gerade vom Mittagessen gekommen waren, verließen den Saal. Einer drehte sich noch mal zu uns um: »Viel Spaß, Jungs.«
Koschnik stieß mir mit den Ellenbogen in die Rippen. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Sechzehn Stunden, Berge von Putzlappen, literweise Xylol- und Tuluol-Dämpfe in unseren Lungen später, waren wir glücklich, heiter und befreit. Die Maschinen waren sauber, unser Rausch hielt noch bis zum nächsten Abend, nie wieder war es so schön.
Auf Wikipedia habe ich vor Kurzem Folgendes gelesen:
»Toluol verursacht Nerven-, Nieren- und möglicherweise auch Leberschäden. Toluol ist fortpflanzungsgefährdend sowie fruchtschädigend. Die Inhalation von Toluol-Dämpfen kann zu unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Unwohlsein, Empfindungsstörungen, Störungen der Bewegungskoordination und Bewusstseinsverlust führen. Bei regelmäßigem Kontakt kann es zu einer Toluol-Sucht kommen, die mit Heiterkeits- und Erregungsräuschen einhergeht. Toluol-Dämpfe haben eine narkotisierende Wirkung und reizen die Augen und Atmungsorgane schwer, allergische Reaktionen auf Toluol sind möglich. Toluol sollte an gut belüfteten Orten aufbewahrt werden.«
Das hat uns damals niemand gesagt.
26 DAS GRAUE RAUSCHEN
DAS GRAUE RAUSCHEN
26 HENRI WIESE SASS SEHR DICHT an der Bühne, seine Nasenspitze berührte die Rampe. Er schaute zu uns auf wie ein staunendes Kind.
»Und? Was hast du gesehen?«, fragte Uwe, damals, auf der Bühne des Landestheaters Parchim.
Zu allem Unglück war Henri auch noch Stotterer. »A… A… A…rschlöcher habe ich gesehen!«
Henri wollte eine textgetreue, naturalistische Ibsen-Arbeit hinstellen, die sich gewaschen hatte, die international Aufsehen erregen und sich mit Peter Steins jüngst am Theater in Dresden gastierender ›Drei Schwestern‹-Aufführung
Weitere Kostenlose Bücher