Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
Erster erfahren hatte, da er sein Geschäft direkt gegenüber der bayerischen Staatsoper betrieb, war von den Socken und konfiszierte sofort dreißig Karten für seine Claque. Eine unerhörte Depesche hatte sein Ohr erreicht. Der Sänger des Advokaten in der »Fledermaus« würde mit Mooshammers Haartracht auftreten und ihn parodieren.
Und noch etwas anderes hatte sich herumgesprochen. Einer launischen Idee folgend hatte ich Nazikostüme herstellen lassen. Auf dem Fest des Herrn Orlowski sollten ein paar Gäste in Nazikostümen im Hintergrund der Bühne erscheinen, wobei ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe, dass es nur Nazikostüm-Zitate waren. Das heißt: Sie waren zwar braun, es fehlten aber die Symbole. Und schließlich sollte das Personal des Herrn Orlowski diese unerwünschten Gäste abweisen.
Sorgen machte man sich auch in der bayerischen Staatskanzlei. Ein anderes Vorkommnis war dort nämlich noch gut in Erinnerung: meine Ibsen-Inszenierung der »Gespenster« am Münchner Residenztheater fünf Jahre zuvor. Auch dort war es bei der Premiere zu einem Handgemenge und einer darauffolgenden Anzeige wegen Körperverletzung gekommen. Es handelte sich um die zu laut eingespielte Musik in der letzten Szene, die Rückkoppelungen in einigen Hörgeräten der nicht zu knapp erschienenen älteren Zuschauer erzeugt und damit möglicherweise irreparable Hörschäden verursacht hatte. Auch waren wohl Herzinfarkte und Nervenzusammenbrüche zu beklagen gewesen. Dies hatte eine Armada von Rechtsanwälten in Stellung gebracht, die das Residenztheater mit flutartigen Wellen von Klagen, vor allem eben wegen schwerer Körperverletzung, überschwemmte.
Rufus Beck spielte den Oswald und Margit Carstensen seine Mutter, Frau Alwin. Sie standen an einer Wand, durch die der Bühnenbildner Bert Neumann einen Baum hatte stürzen lassen und hielten sich an den Händen. Sie sprachen die ersten Rezitativsätze aus Donovans »Atlantis«. War bis jetzt alles gut gegangen, so machte sich mit dem für damalige Münchner Theaterverhältnisse viel zu lauten Einsetzen der Musik allmählich Unruhe unter den Zuschauern breit. Zumal Frau Alwin, wie ihr die Regie geheißen, während ihr Sohn den Todeskampf kämpfte, in die Freiheit, das heißt in Richtung Bühnenbrandmauer tanzte. Der Todeskampf sah so aus, dass Rufus Beck mit voller Kraft und dem Kopf voran gegen die Portalwand rannte. Dies immer wieder, mit vollem Einsatz von Leib und Leben.
Donovans Song dauerte circa acht Minuten. So lange musste der Kopf von Rufus Beck durchhalten. Die Unruhe unter den Zuschauern äußerte sich in Türenknallen und lautstarkem Verlassen des Theaters und erreichte ihren Gipfel darin, dass ein circa sechzigjähriger Beamter der Staatskanzlei sich den armen Günter Beelitz, damaliger Intendant des Residenztheaters, griff und diesen am roten Cashmere-Pullover hinaus in den Wandelgang zerrte, wo er ihn heftig schüttelte.
In solchen Momenten werden Helden geboren. In diesem Fall war es nicht nur Günter Beelitz, sondern es waren auch die Schauspieler, in diesem Fall Margit Carstensen und Rufus Beck. Vor allem Rufus. Denn jeder junge männliche Schauspieler möchte einmal den berühmten Schlusssatz von Oswald sprechen. Dieser Satz erfordert eine gewisse Ruhe und Konzentration im Zuschauerraum, um gesprochen und vor allem, um gehört zu werden. Obwohl diese Grundlage nicht mehr gegeben war, legte sich Rufus auf die Couch und sprach den Satz: »Mutter, gib mir die Sonne«, wie wir es probiert hatten.
Da hörte man aus dem dunklen Saal eine Stimme rufen: »Endlich!« Oswalds letzte Atemzüge gingen in höhnischem Gelächter unter.
Am Tag nach der Premiere waren die Zeitungen voll mit Spekulationen, wie viel Dezibel wohl im Theater zulässig seien. Messungen wurden angestellt und Reporter hielten ihre Mikrofone an alles, was Geräusche machte. Man fand heraus, dass unsere Musik etwa so laut war wie der Anlasser eines Traktors oder das Rattern eines Presslufthammers oder ein in der Ferne startender Düsenjet, also 65 – 70 Dezibel. Das hieß: erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt. Eine gute Nachricht für die Rechtsanwälte.
Fazit meiner »Fledermaus«-Inszenierung:
Vormittags nach der Premiere, ich gehe über die Maximilianstraße. Da geht das Schwein, höre ich Passanten sagen.
Ich habe einen Stapel Zeitungen auf meinen Knien. Frankfurter Allgemeine, Süddeutsche, Frankfurter Rundschau – der ganz große Auftritt.
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