Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
einquartiert und schreibe an der letzten Drehbuchfassung von »Hotel Lux«, dem Film, den ich nächstes Jahr drehen werde. Eine Krankenschwester leugnet, meinen Vater mit einem Kissen beworfen zu haben. Mein Vater bekommt Fieber. Er wird jetzt sterben. Wir denken nicht daran, es zuzulassen. Wir erzwingen Antibiotika.
Mein Vater erholt sich. Sein Ziel war die Premiere »Dinosaurier«. Er reißt die Arme hoch und wirft unter dem Jubel der Zuschauer die Krücken weg.
Im Kino Babylon bekommt mein Vater zusammen mit mir den Ernst-Lubitsch-Preis. Mein Vater, er kann kaum sprechen, sagt ins Mikrofon: »Ich habe noch nie einen Preis bekommen.«
Eines dieser Gespräche im Diagnostikzimmer: kein Wachstum. Mein Vater weint vor Freude. Auch die medizinische Assistentin.
Ich kann nicht mehr. Der Bauch tut weh vom Lachen. Wir sind auf einer Geburtstagsfeier von Tante Ruth, mein Vater hat mir etwas ins Ohr geflüstert, ich habe einen Lachanfall bekommen. Wir lachen beide und können nicht mehr aufhören. Die Freunde und Verwandten von Tante Ruth, die ja auch meine sind, gucken unsicher, sie kennen ihn ja und sie wissen, es war nicht nett. Aber sie freuen sich auch, er scheint ja wieder der Alte zu sein.
Was er mir ins Ohr geflüstert hat? Nun ja, es war schwarzer Humor. Niemand würde es verstehen, es entzieht sich dem normalen Menschenverstand. Es war fies. Es würde Kopfschütteln hervorrufen. Es war böse und ungerecht. Es war lustig. Und manchmal lache ich wieder darüber: in Liebe.
Geburtstag meiner Mutter, es ist Herbst. Mein Vater erneuert seinen Heiratsantrag. Kurz darauf nimmt er mich beiseite. »Was auch immer geschieht«, sagt er, »du drehst weiter.« Ich stehe zwei Wochen vor Drehbeginn zu »Hotel Lux«. Mein Vater duldet keinen Widerspruch: »Ich habe auch gedreht, als mein Vater starb. Und das wirst du jetzt auch tun.«
»Wie war das, als Papa starb?«, frage ich meine Schwester, die jeden Tag sein Grab pflegt. »Ich kann mich nicht richtig erinnern.«
»Ich auch nicht«, sagt sie, »alles gerät durcheinander, wenn ich daran denke.«
»Ihr habt mich angerufen, als ich vom Drehen kam, also Philipp, und der wollte nicht so recht raus mit der Sprache, da hast du von hinten gebrüllt: ›Jetzt sag es ihm‹ …«
»Wir haben dir ja nichts erzählt, weil du doch den Film gedreht hast.«
»Es war dann klar, dass es zu Ende ging?«
»Ja, dann war es klar. Komm nach Hause, habe ich zu dir gesagt.«
»Dann bin ich nach Hause gekommen.«
»Zu Mutti und Papa«, sagt Iris.
Der Fernseher läuft. Er steht jetzt im Wintergarten. Wir haben aus dem Wintergarten das Wohnzimmer gemacht, denn das Wohnzimmer ist jetzt das Krankenzimmer, das Sterbe-Zimmer. Dort liegt mein Vater an einem Tropf. Im Morphiumrausch. Er ist nackt. Er steigt laufend aus dem Bett. Ich lege ihn wieder ins Bett. »Leander, lass das, ich bitte dich«, sagt er gereizt.
Manchmal schläft er. Er geht in eine Welt, in der es nicht ruhig ist. »Leanderchen«, ruft er sanft, dann wieder zornig: »Leander! Lass das!«
Wir, meine Mutter, meine Schwester und ich, sitzen im Wintergarten-Wohnzimmer und trinken einen Obstler, das Fernsehen überträgt ein Live-Konzert von »Element of Crime«, Sven singt: »Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei.«
Der Palliativ-Arzt kommt. »Sterbe ich jetzt?«, fragt mein Vater erstaunt.
»Ja«, sage ich.
Ich habe davon gehört und es immer für abgegriffene Poesie gehalten. Aber es ist so: Die Welt kann stehen bleiben, und das tut sie jetzt auch. Die Sonne scheint nur noch durch einen schwarzen Schleier. Es sieht aus, als hätte jemand eine Zigarette im Himmel ausgedrückt. Meine Mutter geht ziellos durchs Zimmer. Im Gesicht meines Vaters erscheint jetzt das Dreieck, das Dreieck der Sterbenden.
Wir geben uns alle die Hand und verschränken die Finger ineinander, machen ein Foto mit dem iPhone. Mein Vater schläft ein. Ich lege mich neben ihn. Löffelchen. Wo die anderen in der Familie sind, weiß ich nicht. Ich glaube, meine Schwester kniet die ganze Nacht neben dem Bett.
Ich rieche meinen Vater. Und während ich ihn einatme, geht etwas von ihm, noch nicht alles, in mich ein.
Es ist wohl morgens. Eine Schwester fühlt seinen Puls. Da ist kaum noch etwas. Jetzt Schnappatmung. Mein Vater ist tot. Meine Schwester schreit. Ich schließe die Augen meines Vaters, der Mund geht nicht mehr zu. Ich falte seine Hände, meine Schwester legt das Familienkreuz hinein. Ich zünde Kerzen an. Meine Mutter küsst ihm
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