Bujold, Lois McMaster - Die magischen Messer 2
entscheiden? Was für eine Wahl. « Sie seufzte. »Vielleicht macht es auch keinen U n terschied. Ich weiß nicht einmal, ob ich mir wünschen soll, dass es einen macht. «
Fawn blickte sie großäugig an.
»Argh! Hör nicht auf mein Geschwätz, Mädchen «, fuhr Mari fort. »Ich denke, ich werde zu alt. Heute Nacht schlafe ich mich außerhalb der ausgezehrten Zone aus. Das nagt am Verstand ebenso wie an den Kräften, diese Auszehrung. Alles nur Ve r zweiflung und Tod. Bringt einen in diese Stimmung. « Sie stand wieder auf und schaute trübe über Dags Gestalt hinweg auf Fawn. »Ich weiß, dass du die Auszehrung nicht unmittelbar fü h len kannst, aber sie wirkt auch auf dich. Du solltest diesen tö d lichen Boden ebenfalls eine Zeit lang verlassen. «
Fawn schüttelte den Kopf. »Ich will hier bleiben. Bei Dag. « Wie viel Zeit auch immer uns noch bleiben mag.
Mari zuckte die Achseln. »Wie du meinst. « Sie schritt durch die aufsteigende Dämmerung davon.
Fawn erwachte, als das Mondlicht bereits durch die kahlen Zweige der Esche sickerte. Sie lag eine Weile zw i schen ihren Decken und versuchte, sich an ihre Träume zu erinnern, in der Hoffnung, vielleicht einen hinreichend prophetischen Hinweis darin zu entdecken. In den Li e dern hatten die Leute oft Träume, die ihnen verrieten, was zu tun war. Man musste diesen Anwe i sungen getreu folgen, sonst riskierte man mehrere Strophen voll Kummer. Aber sie erinnerte sich an keine Träume. Fawn zwe i felte auch daran, dass sie ihr irgendetwas verraten hätten, wenn es anders gewesen wäre.
Bauernträume. Wenn sie als Seenläufer geboren wäre, vielleicht … Sie blickte mürrisch zu Othan, der auf der anderen Seite von Hoharie schlief und leise schnarchte. Wenn irgendjemand nüt z liche übernatürliche Eingebu n gen haben sollte, dann wäre es vermutlich er. Verdammt sollte er sein.
Nein, nicht verdammt. Das war nicht fair. Widerwillig räumte sie ein, dass er Mut hatte. Er hatte es heute Nachmittag bewi e sen, und Hoharie hätte ihn nicht all ihren anderen Lehrlingen vorgezogen und mitgebracht, wenn er kein vielversprechender Heiler wäre. Es war nur so, dass Fawn sich besser fühlen wü r de, wenn er einfach nur dämlich wäre und nicht nur dämlich in Bezug auf Landleute. Dann könnte er sie nicht so sehr an sich selbst zweifeln lassen. Sie seufzte, stand auf und suchte sich ihren Weg zu den Latrinen am anderen Ende des Hains.
Als sie zurückkam, setzte sie sich auf ihre Decke und musterte Dag. Das schattendurchwirkte Mondlicht gab seinem reglosen Gesicht eine beunruhigend leichenhafte Färbung. Das dunkle Funkeln seiner Augen in der Nacht, wenn er sie anlächelte, hä t te diesen Eindruck sogleich ausgelöscht, aber seine Lider bli e ben geschlossen und waren tief eingesunken. Er könnte sterben, dachte Fawn, ohne dass sie je das helle Gold seiner Augen bei Tage wiedersah. Sie schluckte einen ängs tl ichen Kloß in ihrer Kehle hinab. Würde sie ihn berühren dürfen, nachdem er g e storben war? Ich könnte ihn jetzt berühren. Aber sie konnte nur wenig für ihn tun, was nicht schon unter g e ringerer Gefahr von anderen getan worden war. Also lass es.
Umschlossene Essenzverstärkung. Sie schob diese Formuli e rung in ihrem Verstand hin und her, als müsse sie sie kosten. Für Hoharie hatten diese Worte eindeutig eine ganz spezielle Bedeutung gehabt, und zweifellos auch für Dag und Mari. Und für Othan. Eine Essenzverstärkung, die sich in sich selbst z u sammenrollte und nicht allmählich Teil des neuen Eigentümers wurde? Fawn rieb sich den Arm und fragte sich, ob die Essen z verstärkung, die Dag an ihr vorgenommen hatte, wohl u m schlossen war oder nicht.
Wenn sie Hoharies Erklärung richtig deutete, schien diese U m schließung ein abgetrennter Teil des Übels selbst zu sein, wie der abgetrennte Teil von Dag in ihr. Sie erinnerte sich an das Glashütten-Übel und war froh, dass sie und Dag es erledigt ha t ten, bevor es so weit re i chende Kräfte entwickeln konnte.
Fawn kniff die Brauen zusammen. Hatte Hoharie je ein Übel so aus der Nähe gesehen wie Fawn? Formwi r ker schienen zumeist im Lager zurückzubleiben, also mögl i cherweise nicht.
Mittlerklingen waren vielleicht kompliziert zu fert i gen, aber man konnte sie einfach anwenden. Ein Bauer n kind konnte es tun – wie Fawn bewiesen hatte. Bei der Erinn e rung an Dags wilden Schrei musste sie lächeln: Mit der Spitze zuerst!
Ihre Gedanken fielen wie Wassertropfen in einen sti l len
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