Bullenball
Briefumschlag
am unteren Bildschirmrand erschien: Sie hatte eine Nachricht erhalten. Eilig
lief sie zum Schreibtisch. Es war eine automatische Benachrichtigung: Der König
war jetzt online.
Nach dem Mittagessen beschloss Hambrock, zurück nach Münster zu
fahren. Die meisten Schüler waren inzwischen gegangen, Nachmittagsunterricht
fand heute nicht statt. In der Schule wurde es immer stiller, keiner rechnete
mehr mit dem Auftauchen des Amokläufers.
Suhrkötter begleitete ihn zur Eingangstür. »Na ja, das war wohl zu
erwarten gewesen«, meinte er. »Eine weitere substanzlose Amokdrohung.«
»Besser so als anders«, gab Hambrock zurück.
»Natürlich, da haben Sie recht. Am liebsten wäre mir aber gewesen,
wir hätten seine Identität über den Provider herausbekommen.«
»Na ja, wenigstens kommt man so mal für ein paar Stunden aus dem
Büro. Bestellen Sie der Rektorin einen schönen Gruß. Ich hoffe, das war das
letzte Mal, dass wir wegen so einer Sache hierher mussten.«
Er trat unter das Vordach, und die Eingangstür fiel hinter ihm ins
Schloss. Der Regen stand wie eine Wand vor ihm. Eine Windböe sprühte
Wassertropfen unter das Dach. Blitze zuckten. Vielleicht war der Amokläufer ja
auch wegen des schlechten Wetters zu Hause geblieben, dachte er und rannte
durch den strömenden Regen zu seinem Dienstwagen.
8
Der Regen hatte nachgelassen, auch der Wind flaute langsam
wieder ab. Nach dem Unwetter war es empfindlich kalt geworden. Ben, dem der
Regen anfangs nichts ausgemacht hatte, war nun doch froh, endlich wieder zu
Hause zu sein. Er war völlig ausgekühlt. Die nasse Kleidung klebte auf seiner
Haut. Er sehnte sich nach einer heißen Dusche.
Mit steifen Bewegungen trat er in den düsteren Wohnungsflur. Auf dem
kleinen Tisch waren noch die Reste des Frühstücks zu sehen. Brötchenkrümel,
Marmeladenflecken, dazwischen schmutziges Geschirr. Auf der Kochzeile gegenüber
standen die Töpfe vom Vortag. Tomatensoße war quer über die Arbeitsfläche
getropft, im Ausguss stand ein Sieb mit eingetrockneten Nudeln. Er lauschte in
die Wohnung hinein. Leise Stimmen drangen aus Tims Zimmer, zu verstehen war
jedoch nichts. Von den anderen schien keiner zu Hause zu sein.
Ben zog sich die nasse Kapuze vom Kopf, ging in sein Zimmer und warf
den Rucksack auf einen Sessel. Dann pellte er sich aus seiner nassen Kleidung,
warf seinen Bademantel über und steuerte das Bad an. Auf halbem Weg dahin
öffnete sich Tims Zimmertür. Sein Mitbewohner streckte den Kopf heraus.
»Ach, du bist das, Ben.«
»Hey, Tim.«
»Hast du eine Sekunde? Komm doch mal kurz zu uns rein.«
»Zu uns?«
»Vanessa ist da. Du weißt schon, meine Bekannte von meinem Job im
Kino.«
»Wegen der Sache auf dem Bullenball?«
»Ja, klar.«
Er zog den Bademantel enger und folgte Tim. Im Zimmer schlug ihm
eine Marihuanawolke entgegen. Bei Tim herrschte die gewohnte Unordnung.
Kleidung, Pizzakartons, Aschenbecher, leere Bierflaschen – alles lag verstreut
herum. Auf dem alten Sofa, das Tim vom Sperrmüll ergattert und mithilfe einer
Tagesdecke wohntauglich gemacht hatte, saß eine hübsche Frau und begrüßte ihn.
Mit ihrem modischen Outfit, dem ordentlichen Make-up und der gepflegten Frisur
passte sie so gar nicht in diese Umgebung. Weder hätte Ben ihr zugetraut zu
kiffen, noch wäre er auf die Idee gekommen, sie könnte mit jemandem wie Tim
befreundet sein.
Er trat ein und lächelte.
Vanessa betrachtete ihn ohne erkennbare Emotionen. Sie zog am Joint
und legte ihn im Aschenbecher ab. »Du möchtest also auf dem Bullenball
arbeiten?«
»Gerne. Ich kann im Moment jeden Euro brauchen. Tim hat gesagt, ihr
sucht Leute zum Bierzapfen.«
»Eher für den Cocktailstand. Du hast Erfahrung in der Gastronomie?«
»Nicht im Cocktailmixen. Ich habe mal in diesem Studenten-Saufladen
am Buddenturm gearbeitet. Aber da gab’s keine Cocktails.«
Zum ersten Mal lächelte sie. »Mit Cocktailmixen hat das nicht viel
zu tun. Es ist eher eine Cocktailproduktionsstraße. Wichtig ist nur, dass du
schnell bist.«
»Das bin ich.«
»Gut. Neun Euro plus Trinkgeld. Ist das okay?«
Ben überschlug die Summe. Gut hundert Euro zusätzlich für seine
Reise. Der Bullenball sollte am Samstagabend stattfinden. Wenn er nach der
Arbeit frühmorgens zum Bahnhof fuhr, konnte er den Sieben-Uhr-dreißig-Zug nach
Bremerhaven bequem erreichen.
»Wie läuft das mit der Bezahlung?«
Wieder betrachtete sie ihn mit einem Blick, den er nicht deuten
konnte. »Wer möchte, bekommt
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