Bullenball
gute Arbeit«, stellte der Mann fest. Es hörte sich an wie:
Leg dich besser nicht mit mir an.
»Davon bin ich überzeugt.«
»Hast du das Geld?«
Ben zog einen Briefumschlag hervor und reichte ihn über den Tresen.
Der Mann zog die Geldscheine hervor und zählte sie. Es war wie in einem Film.
»Also gut.« Er steckte das Geld ein. »Alles bestens.«
Das war’s. Mehr gab es nicht zu sagen. Ben verabschiedete sich und
verließ die Bar. Draußen empfing ihn eine feuchtkalte Windböe. Der Regen
klatschte wütend auf den Asphalt. Die Tür wurde hinter ihm abgeschlossen. Auf
der Straße war keine Menschenseele.
Er zog die wollene Kapuze über den Kopf und rannte los. Binnen
weniger Sekunden war er durchnässt. Aber das störte ihn nicht. Er rannte
einfach weiter, den falschen Pass an seine Brust gedrückt. Erst auf dem Bahnhofsvorplatz
machte er halt.
Niemand war ihm gefolgt. Er war weder ausgeraubt noch
zusammengeschlagen worden. Das Geschäft war einfach so über die Bühne gegangen,
und mit der Bezahlung war er aus dem Schneider. Den Flirt mit der Unterwelt
hatte er unbeschadet überstanden.
Adelheid stand vor ihrem Fenster und betrachtete ehrfürchtig das
Spiel der Naturgewalten. Es donnerte und blitzte, der Himmel verdunkelte sich,
und dichte Regenschleier wurden vom Sturm hin und her gepeitscht. Sie mochte
es, wenn die Natur ihre ganze Kraft demonstrierte. Dann fühlte sie sich
beschützt. Das zeigte ihr: Es gab etwas, das stärker war als die Menschen um
sie herum. Stärker als ihre Eltern, als die Lehrer und die Mädchen aus der
Nachbarschaft. Etwas Größeres, das keinen Unterschied machte zwischen ihr und
den anderen.
Wegen der Amokdrohung war ihnen freigestellt worden, zu Hause zu
bleiben. Adelheid hatte gehofft, sie könnte den geschenkten Tag nutzen und ihr
Gespräch mit dem König von Brook fortführen. Der Chat am Vorabend war aufregend
gewesen. Der König hatte die gleichen Gedanken und die gleichen Gefühle wie
sie. Noch nie war ihr ein Mensch begegnet, mit dem sie so ungezwungen reden
konnte. Ohne sich zu schämen, ohne sich zu ducken und ohne ausgelacht zu
werden. Sie konnte beinahe über alles mit ihm reden.
Nur eines hatte sie nicht gewagt: ihn nach der Bedeutung seines
Namens zu fragen. Ob der wohl etwas mit dem Dörfchen Brook in den Baumbergen zu
tun hatte? Oder war er nur eine freie Erfindung, ohne tieferen Sinn? Lediglich
die Frage, wie sie ihn im Chat ansprechen sollte, hatte sie gewagt zu stellen:
»Der König von Brook ist doch ein Titel und kein Name! Außerdem ist der viel zu
lang. Wie kann ich dich denn stattdessen nennen?«
»Nenn mich einfach: Du mein König!«
»Klingt irgendwie nach Shakespeare oder so«, hatte sie lachend
zurückgeschrieben. »Etwas verstaubt, aber schön.«
»Dann passt er ja zu mir.«
Danach hatte sie ihm von der Schule und von den Mädchen aus der
Nachbarschaft erzählt. Sie machte nur Andeutungen, für den Fall, dass er
tatsächlich aus Brook kam und ihre Identität durchschauen konnte, wenn sie konkreter
werden würde. Aber er interessierte sich gar nicht für irgendwelche
Einzelheiten, die sie erkennbar gemacht hätten. Er wollte nur die Geschichten
hören. Was in der Schule passierte und wie die Nachbarmädchen sich über sie
lustig machten. Darüber regte er sich furchtbar auf.
»Das hast du nicht verdient, so behandelt zu werden! Das macht mich
ganz wütend! Ich kann mir schon vorstellen, wie das abgeht. Denen würde ich
gerne mal eine Lektion erteilen! Dann würden die es sich in Zukunft zweimal
überlegen, ob sie dich weiterhin so schlecht behandeln.«
Adelheid beschlich der Verdacht, er kannte das alles von sich
selbst. Es geht ihm gar nicht anders als mir, dachte sie. Er redet nur nicht
darüber, weil er ein Mann ist. Er will nicht hilflos wirken. Trotzdem weiß er
ganz genau, wovon ich spreche.
Sie genoss es, dass er sich aufregte und sie beschützen wollte. Noch
nie hatte sich einer so sehr für sie interessiert.
Sie wandte sich vom Fenster ab und warf einen Blick auf den
Computerbildschirm. Sie hatte die automatische Benachrichtigungsfunktion
eingestellt, damit sie es erfuhr, sobald der König sich einloggte. Doch ihr
Postfach war leer, alles blieb dunkel.
Ein weiteres Donnergrollen ertönte. Es wurde immer dunkler, obwohl
erst früher Nachmittag war. Aber auch das mochte sie, wenn es mitten am Tag
ganz dämmrig wurde in ihrem Zimmer. Sie setzte sich aufs Bett.
Und dann – plötzlich – ertönte ein leises Piepen. Der
Weitere Kostenlose Bücher