Bullenball
seinen Lohn bar auf die Hand.«
»Super.« Er grinste. »Dann bin ich dabei.«
Er deutete auf seinen Bademantel und entschuldigte sich. »Ich werde
mal duschen, bevor ich mir eine Erkältung hole.«
Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, hörte er durch die
geschlossene Tür, wie das Gespräch wiederaufgenommen wurde. Doch die beiden
sprachen leiser als zuvor, beinahe im Flüsterton.
Er schloss die Badezimmertür und stellte sich unter die Dusche. Das
heiße Wasser entspannte ihn. Seine Gedanken klärten sich. In wenigen Tagen wäre
es so weit. Dann würde er verschwinden. Es gab jetzt nur noch eine letzte Sache
zu erledigen: den Besuch bei seinen Eltern.
Diesen Termin hätte er am liebsten geschwänzt. Alles andere machte
ihm nichts aus: die dunkelsten Ecken im Bahnhofsviertel, die zwielichtigsten
Geschäftsleute Münsters, alles kein Problem. Wenn da nur nicht diese helle und
freundliche Villa in der besten Nottulner Wohnlage wäre. Der standesgemäße
Wohnsitz von Prof. Dr. Steinhauser und seiner Gemahlin. Das war der einzige
Ort, vor dem es ihm wirklich graute.
Im Grunde war er es keinem mehr schuldig, noch einmal dort
aufzutauchen. Das Problem war nur: Wenn er fortbliebe, könnte ein Verdacht
aufkommen. Sein Vater war schließlich nicht auf den Kopf gefallen. Alles musste
so normal wie immer aussehen. Nur dann konnte sein Plan aufgehen. Wenn keiner
mitbekam, was unter der Oberfläche brodelte, würde das Erdbeben den größtmöglichen
Schaden anrichten.
Er stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und ging zurück in sein
Zimmer. Er wählte seine Kleidung genau aus, wie jedes Mal. Die Sachen sollten
möglichst abgetragen und gammelig aussehen. Das machte seinen Vater rasend. Er
konnte seine bellende Stimme bereits hören. »Bist du ein Penner, oder was?«
Seine hochgewachsene und unumstößliche Gestalt, die es einem beinahe unmöglich
machte, zu widersprechen. »Wofür zahlen wir dir denn das Studium? Kannst du dir
da keine ordentlichen Sachen kaufen? Muss das denn sein, dass jeder auf den
ersten Blick sehen kann, was für ein Versager du bist?«
Jetzt fehlte nur noch die abgetragene Lederjacke. Er zog sie über
und stellte sich vor den Spiegel. Genau das Bild, das sein Vater mit Inbrunst
hasste: ganz in Schwarz gekleidet, lange Haare, die ihm ins Gesicht hingen, vom
Nikotin vergilbte Finger. Er ließ seinen Blick lange auf dem Spiegelbild ruhen.
Dieser Aufzug würde seine Wirkung haben, auch wenn er es wieder einmal nicht
schaffen würde, sich wirklich gegen seinen Vater aufzulehnen, von Angesicht zu
Angesicht.
Er zog die Pistole hervor, die er bei seinem nächtlichen Ausflug mit
Tim aus der Industriehalle hatte mitgehen lassen. Tim war kurz pinkeln gewesen
und hatte nichts davon bemerkt. Ben wog die Waffe in der Hand, dann steckte er
sie in seinen Hosenbund unter der Lederjacke. Sie saß kühl und hart an seiner
Hüfte. Es war ein gutes Gefühl.
Der Bus nach Nottuln fuhr vom Hauptbahnhof ab. Die Gewitter waren
endgültig abgezogen und hatten einem tristen Grau mit Nieselregen Platz
gemacht. Er wurde wieder nass, doch diesmal musste er darüber lachen: das verfluchte
Münsterländer Regenwetter! Bald wäre er es endgültig los.
Während der Fahrt in dem halb leeren Bus hatte er Zeit zum
Nachdenken. Das Containerschiff würde am Sonntagmittag in Bremerhaven ablegen
und sich auf den Weg nach Le Havre machen. Es gab nur fünf Kajüten für
Passagiere, alles andere war dem Schiffspersonal vorbehalten. Ein einfaches
Frachtschiff, viel Komfort konnte er nicht erwarten. Die Überfahrt dauerte
zwanzig Tage. Genug Zeit, um alles hinter sich zu lassen. Er würde auf dem
riesigen Schiff auf und ab gehen und dabei kaum einer Menschenseele begegnen.
Nichts würde ihn ablenken, um ihn herum nur das tiefe und wogende Meer. Wenn er
den Hafen von Veracruz erreichte – das hatte er sich fest vorgenommen –, wäre
er wie neugeboren. Nichts aus seiner Vergangenheit würde dann noch eine Rolle
spielen.
Der Bus hielt an der Nottulner Mühlenstraße. Von dort war es nur
noch ein kurzer Fußweg. Die weiße Villa seiner Eltern rückte in sein Blickfeld.
Sofort machte sich die übliche Beklemmung bemerkbar. Dabei war es das letzte
Mal, er würde das Haus niemals wiedersehen. Doch er hatte vergeblich gehofft,
dass diese Tatsache es ihm erleichtern würde.
Der Deal zwischen ihm und seinem Vater war: Solange sein Vater das
Medizinstudium finanzierte, tauchte Ben einmal in der Woche auf und besuchte
ihn und seine Mutter zum
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