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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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am besten seinen Rechner.«
    Ben beendete die Sitzung. Auf dem Monitor tauchte wieder sein
eigener Desktop auf. Mithilfe von Marlons Benutzerdaten betrat er die Seite,
auf der dieser sein virtuelles Tagebuch hinterlegt hatte, und verschaffte sich
einen Überblick.
    »Du kannst die einzelnen Einträge anklicken. Die sind alle …« Er
stockte. »Moment mal. Er hat einen geschützten Bereich eingerichtet.«
    »Was bedeutet das?«
    »Alles, was du hier auf dem Account siehst, ist jetzt für uns offen
zugänglich. Einige Eintragungen hat er aber zusätzlich geschützt. Er hat sie in
einer Internetwolke platziert. Dazu braucht man ein weiteres Passwort, aber das
stand nicht auf der Liste.«
    Er blickte Marie an und wartete auf eine Reaktion, doch sie saß noch
immer reglos da, mit seltsam wächsernem Gesicht, und glotzte auf den Monitor.
Immer noch fassungslos, weil Marlon sich hinter diesem König verbarg.
    Aus Bens iPhone erklang ein vertrautes Piepen. Es lag neben der
Tastatur auf dem Schreibtisch. Die Applikation für Skype hatte sich geöffnet
und fragte ihn, ob er ein Gespräch annehmen wollte.
    Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er umfasste das iPhone wie einen
wertvollen Schatz.
    »Du kannst dir das ja mal angucken«, sagte er. »Vielleicht hilft es
dir weiter.«
    Sie nickte starr.
    »Kommst du klar?«
    Jetzt sah sie auf und versuchte sich an einem Lächeln. »Natürlich.
Alles in Ordnung.«
    Er stand auf und ließ sie allein. Marie durfte nichts mitbekommen,
sonst wäre sein Plan in Gefahr. Er ging ins Zimmer von Tim, der nicht zu Hause
war, und schloss sorgfältig die Tür. Dann nahm er den Skype-Kontakt entgegen.
Die dunkle vertraute Stimme drang tief in seine Brust.
    »Olá querido!«
    Er schloss die Augen, alles um ihn herum wurde unwichtig. »Olá«,
sagte er. »Olá Jivan.«
    »Ich kann’s kaum noch erwarten, dich zu sehen.« Jivan sprach Portugiesisch,
eine Sprache, die Ben inzwischen beinahe so vertraut war wie die deutsche.
»Hier ist alles vorbereitet. Meine Eltern helfen mir ein bisschen aus. Ich habe
jetzt eine Wohnung für uns. Sie ist zwar sehr klein, aber für den Anfang wird
es reichen. So lange, bis du Arbeit gefunden hast. Ich habe schon mit unserem
Theaterleiter hier in São Paulo gesprochen. Er sagt, er kann dir vielleicht ein
paar Übersetzungsaufträge zuschanzen.«
    Bunte Bilder explodierten in seinem Kopf. São Paulo bei Nacht, der
Hafen von Santos, das Meer, die Sonne, die farbigen Häuser, das quirlige
Durcheinander. Autos, Menschen, Leben. Seine Zukunft.
    »Das hört sich doch toll an. Wie sieht unsere Wohnung aus? Beschreib
mir jede Einzelheit.«
    Jivan redete. Seine dunkle Stimme tröstete Ben über alles andere
hinweg. Er redete von einer märchenhaften Zukunft, die alle Strapazen der
Vergangenheit vergessen lassen würde.
    »Jetzt aber genug von mir. Wie geht es dir?«, fragte er schließlich.
»Nimmst du Abschied?«
    »Innerlich, ja. Es fällt mir nicht sehr schwer zu gehen.«
    Er trat an Tims Fenster und blickte hinaus. Über den kahlen und
verdreckten Balkon hinweg konnte er in sein eigenes Zimmer sehen. Marie saß
leichenblass am Rechner und starrte ungläubig in den Monitor. Eine Weile passierte
nichts, dann nahm sie die Maus und klickte einen weiteren Tagebucheintrag an.
    »Mein Zug geht übermorgen früh. Morgen Abend habe ich noch einen Job
auf einer Großveranstaltung. Diese letzte Nacht in Deutschland mache ich durch,
aber das ist schon okay, ich werde eh nicht schlafen können. So verdiene ich
mir noch ein paar Euro für die Überfahrt. Noch zwanzig Tage, Jivan, dann bin
ich in São Paulo.«
    »Noch zwanzig Tage.« Ein Lächeln in seiner Stimme. »Ich kann es kaum
erwarten.«
    Marie saß weiterhin unbewegt vor dem Monitor. Er legte den Kopf
gegen die Scheibe, das Glas kühlte angenehm seine Stirn.
    »Glaub mir, die Zeit wird wie im Flug vergehen«, sagte er. »Und dann
werden wir für immer zusammen sein, mein Geliebter.«
    Adelheid stand regungslos auf dem abgenutzten Teppichboden und
starrte ihr Spiegelbild an. Das schwarze Kleid, das sie trug, war aus Satin,
der Rock mit violettem Tüll verstärkt. Die Schultern wurden von einem dünnen
Brokatstoff umhüllt, der ihre schneeweiße Haut nur unzureichend bedeckte. Sie
hatte etwas Make-up ihrer Mutter aufgetragen und versucht, ihre trockenen Haare
in Form zu bringen. Doch das war alles zwecklos gewesen. Im Spiegel blickte sie
eine Vogelscheuche an. Draculas Braut. Eine Hexe aus dem Mittelalter.
    Sie wünschte, sie

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