Bullenball
Jonas den Arm um sie legte.
Sie an sich drückte und zu beschützen versuchte.
Er tat es nicht.
»Ich werde mal duschen«, sagte er, stand auf und schlang sich ein
Laken um die Hüfte. »Das wird heute ein langer Tag werden. Wir sollten uns ein
bisschen beeilen.«
Jule zog sich die Decke bis ans Kinn und beobachtete, wie er den
Raum verließ.
»Ja«, sagte sie. »Das wird ein langer Tag.«
Die Stände des Wochenmarkts drängten sich auf dem Kopfsteinpflaster
unterhalb des wuchtigen Münsteraner Doms. Berge von Äpfeln, Orangen,
Kartoffeln, tief hängende bunte Markisen, dazwischen alte Bauern, die ihre
Waren anpriesen. Kaffeeduft mischte sich mit dem Dunst gebackener Fische, und
die halbe Stadt war auf den Beinen, um Einkäufe zu machen und Freunde zu
treffen.
Hambrock schlenderte gemütlich zwischen den Ständen umher. An einem
Karren mit Strohblumen blieb er stehen und begutachtete seine Einkäufe. Er
hatte einen riesigen prachtvollen Rotkohlkopf besorgt, dazu Äpfel und Zwiebeln,
saure Gurken und eine Reihe frischer Gewürze.
Sein Plan war, Erlend mit einem Festessen zu empfangen. Ihr
Leibgericht: Rindsrouladen mit Rotkohl und Klößen. Er hatte Erlends
Begeisterung für deutsche Hausmannskost zwar nie so ganz verstanden, aber das
spielte auch keine Rolle, denn als Koch war er in dieser Kategorie
ungeschlagen. Er würde Erlend ein Essen servieren, das sie die Strapazen der
letzten zwei Wochen wenigstens für eine Weile vergessen ließ.
Zwischen zwei Ständen tauchte eine Litfasssäule auf. Ein Plakat vom
Bullenball, der heute Abend stattfinden sollte, prangte ihm entgegen. Matthis
Röhrig hätte dort arbeiten sollen, wäre er nicht ums Leben gekommen. Sein
zweiter Einsatz bei einer Großveranstaltung im Auftrag der Sanner-Secure.
Die Umstände seines Todes waren noch immer ein Rätsel. Am Vorabend
war Hambrock zu Jamaine in die Kneipe gegangen, um ihm noch einmal auf den Zahn
zu fühlen. Jamaine kannte sich aus in der Szene, auch heute noch, davon war
Hambrock überzeugt, ganz egal, was Jamaine ihm weismachen wollte. Wie sonst war
es möglich, dass er von Matthis Röhrigs Plänen wusste, sich abzusetzen? Eine
Information, die ihnen sonst niemand hatte bestätigen können. Jamaine verfügte
weiterhin über seine alten Kontakte, keine Frage. Offen war nur, wie Hambrock
dieses Wissen anzapfen konnte. Denn für Jamaine verliefen die Frontlinien
zwischen Polizei und Drogenhandel klar und deutlich. Jeder, der den Leuten von
der Polizei half, machte sich verdächtig, ein Überläufer zu sein. Ganz egal, ob
er selbst noch im Geschäft war oder nicht.
Hambrock hatte eine Weile am Tresen gesessen und auf sein Bier
gestarrt. Er war direkt nach Feierabend hierhergekommen. Zu dieser Uhrzeit
herrschte in der Kneipe noch eine lähmende Ruhe. Außer ihm waren nur wenige
Gäste da: Am Spielautomaten hockte ein Straßenarbeiter, an einem Fenstertisch
saßen ein paar Studenten, die heiße Schokolade tranken. Hambrock wartete
darauf, dass Jamaine aus dem Lager zurückkommen und Zeit für ein Gespräch haben
würde.
Die letzten zwei Wochen hatten ihm gezeigt, wie wenig er es ertragen
konnte, allein zu sein. Die stille leere Wohnung, die ihn nach dem Feierabend
erwartete; die unbenutzte Seite des Doppelbetts, wenn er am Morgen aufwachte;
die langen und ereignisarmen Wochenenden. Das Freiheitsgefühl der ersten Tage
hatte sich schnell verflüchtigt, und übrig geblieben war die Erkenntnis, wie
sehr er sein Leben auf Erlend ausgerichtet hatte. Niemals hätte er sich träumen
lassen, wie umfassend das Gefühl der Entbehrung sein würde. Wie sehr er nach
ihr hungerte.
»Du willst mit mir reden?« Jamaine war hinterm Tresen aufgetaucht.
»Das wird langsam lästig mit dir. Es wird Zeit, dass deine Frau nach Hause
kommt.«
»Das tut sie.« Hambrock lächelte. »Morgen.«
»Tatsächlich?« Jamaine sah ihn auf seltsame Weise an. »Das hättest
du dir wohl nicht träumen lassen, wie sehr du sie vermisst, oder? Von wegen
Freiheit.«
Wieder so ein Moment. Jamaine grinste, als würde er sich über ihn
amüsieren. Hambrock wusste, dass Jamaine keine Gedanken lesen konnte. Trotzdem
blieb er misstrauisch. Ohne Umschweife kam er zum Thema.
»Du musst mir helfen, Jamaine. Ich brauche mehr Informationen zu
diesem Wachmann, über den wir neulich gesprochen haben. Matthis Röhrig. Wenn
ich ganz offen bin, ist dein Hinweis bisher die einzig brauchbare Spur. Wir
sitzen fest. Ich habe keine Ahnung, wie wir seinen Mörder kriegen
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