Bullenball
lassen und alles zu
tun, um den Aufenthaltsort von Marlon ausfindig zu machen. Doch bisher hatte
sich nichts daraus ergeben, die Suche war erfolglos geblieben.
»Habt ihr seinen Computer sichergestellt?«, fragte er.
»Marlons Mutter hat ihn uns quasi aufgedrängt. Sie ist völlig aus
dem Häuschen. Kann sich wohl nicht vorstellen, dass ihr Sohnemann zu so etwas
fähig ist. Jetzt will sie uns helfen, so gut sie kann.«
»Und sie weiß wirklich nicht, wo Marlon steckt?«
»Nein. Und ich glaube ihr das sogar.«
»Habt ihr auf dem Rechner etwas gefunden?«
»Bisher negativ. Marlon hat alles plattgemacht, bevor er
verschwunden ist, die Festplatte komplett gelöscht. Das kriegen wir schon
wieder hin, aber jetzt am Wochenende ist das natürlich nicht so einfach. Ich
werd mal sehen, was sich da machen lässt.«
»Gut. Ich möchte so schnell wie möglich wissen, was auf der
Festplatte war.«
»Wie es aussieht, ist die Anne-Frank-Schule das Tatobjekt. Die macht
erst am Dienstag wieder auf. Bis dahin haben wir ihn in Gewahrsam, davon bin
ich überzeugt.«
»Ja, das Tatobjekt …«, murmelte Hambrock. »Pass auf, Guido. Ich
hätte dich gerne hier in Münster. Wann, denkst du, kannst du im Präsidium
sein?«
»Was gibt es denn so Wichtiges?«
»Das erkläre ich dir dann. Also: Wie lange brauchst du?«
Sie verabredeten eine Uhrzeit, dann verabschiedete Hambrock sich.
Bevor er seinen Platz hinter dem Blumenstand verließ, rief er Heike an. Worum
er sie bitten wollte, war bestimmt nicht die Art von Abwechslung, auf die sie
an ihrem freien Wochenende gehofft hatte. Aber so war es nun mal. Als sie
abnahm, fiel er gleich mit der Tür ins Haus.
»Hallo, Heike! Ist dir gerade langweilig?«
Die weiße Villa der Familie Steinhauser wirkte kühl und abweisend.
Es brauchte jedes Mal ein klein wenig Überwindung, das Gartentor aufzustoßen
und über die Freitreppe hinauf zum Eingangsportal zu gehen, wo sich die Klingel
befand. Marie fühlte sich dabei stets wie eine Einbrecherin, als wäre es
verboten, ohne Erlaubnis das Grundstück der Steinhausers zu betreten. Ohnehin
wäre sie heute am liebsten zu Hause geblieben. Seit gestern Abend gab es so
viel, worüber sie nachdenken musste. So viel, das sie erst einmal verarbeiten
musste. Da passte es ihr gar nicht in den Kram, hier aufzutauchen.
Jetzt war klar, dass Marlon die Anschläge auf die Jazzband verübt
hatte. Das ging aus seinem Tagebuch hervor. Und er steckte hinter der
Amokdrohung am Anne-Frank-Gymnasium, die Niklas erst auf die Idee gebracht
hatte, ihm nachzueifern. Das Einzige, was in Marlons Tagebuch fehlte, war ein
klarer Hinweis darauf, wie ernst ihm die Sache mit dem Amoklauf war. Da waren
nur seine Hasstiraden auf das Anne-Frank-Gymnasium, aber das allein musste ja
nichts bedeuten. Um mehr zu erfahren, hätte sie wohl den geschützten Bereich
lesen müssen, der in einer Internetwolke verborgen lag. Dort hatte Marlon
bestimmt Tacheles geredet. Aber auch das, was ihr zugänglich gewesen war,
reichte aus, um ein völlig neues Bild von ihm zu bekommen. Und um die
Gefährdung zu erkennen, die von ihm ausging.
Sie drückte den Klingelknopf, irgendwo im Haus ertönte ein vornehm
verhaltenes Bimmeln. Die Haushälterin, Frau Meertrup, eine freundliche ältere
Witwe aus dem Stevertal, erschien auf der Schwelle.
»Ulrike wartet schon auf dich«, sagte sie und trat mit einem Lächeln
zur Seite. »Du kennst den Weg ja.«
Marie ging in die Eingangshalle, wo eine Treppe zu Ulis und Bens
Zimmern im ersten Stockwerk führte. Das Zimmer von Ben stand zwar leer, seit er
in Münster wohnte, aber Ulis Mutter hatte darauf bestanden, nichts daran zu
verändern, falls er doch noch mal nach Hause zurückkehren und wieder hier leben
wollte. Was, wenn man Marie fragte, niemals passieren würde, bei den ständigen
Streitereien zwischen Ben und dem Rest seiner Familie.
In der Halle traf sie auf Ulis Vater, Professor Dr. Steinhauser, der
sie förmlich und mit Handschlag begrüßte. Jedes Mal, wenn der hochgewachsene
und streng dreinblickende Mann auftauchte, versteifte sich Marie ein wenig. Er
strahlte eine Mischung von Kälte und Macht aus, und sie fühlte sich stets
wohler, wenn er nicht zu Hause war.
»Du möchtest bestimmt zur Ulrike?«, sagte er.
»Ja.« Sie hielt den Rucksack hoch. »Wir wollen das Kostüm für Jules
Junggesellinnenabschied basteln.«
Er nickte. »Für den Bullenball heute Abend, ich verstehe. Dann
wünsche ich viel Vergnügen dabei.«
Marie konnte nicht anders:
Weitere Kostenlose Bücher