Bullenball
gewesen?
Marie dachte an Adelheid, die im Internet auf ihn aufmerksam
geworden war. Er musste ihr etwas anvertraut haben, das mit den Amokdrohungen
in Zusammenhang stand. Schließlich hatte sie geglaubt, Niklas wäre der König
von Brook. Irgendwas ging da vor sich, und Marie hatte keine Ahnung, was genau
das sein konnte. Marlon plante doch nicht wirklich einen Amoklauf an ihrer
alten Schule? Aber nach allem, was sie gelesen hatte, musste sie davon
ausgehen. Weshalb nur die Schule? Es war ja keiner mehr da von seinen
Peinigern. Hatte er es auf die Lehrer abgesehen?
Das Beste wäre, die Polizei darüber zu informieren, dass Marlon die
erste Amokdrohung am Anne-Frank-Gymnasium ausgesprochen hatte. Doch wie sollte
sie denen erklären, woher sie das wusste? Sollte sie sagen, dass sie sich mit
Bens Hilfe auf Marlons Rechner eingehackt hatte? Damit hatten sie eine Straftat
begangen. Wer wusste schon, welche Konsequenzen das haben würde? Trotzdem. Sie
musste zur Polizei. Die Sache war einfach zu ernst.
Uli kehrte zurück, unterm Arm eine Flasche Prosecco und zwei
Sektgläser.
»Dann kann es ja losgehen!«, sagte Marie mit aufgesetzter
Fröhlichkeit.
»Na, und ob!« Uli ließ den Korken knallen. »Wir sind ja nicht zum
Spaß hier!«
Sie arbeiteten eine Weile an dem Kostüm. Marie gab sich gut gelaunt,
doch ihre Gedanken wanderten immer wieder zu Marlon und seinem Tagebuch.
Irgendwann rief Frau Meertrup von unten: »Ulrike! Besuch für euch!«
Marie und Uli wechselten einen irritierten Blick. Doch bevor sie
noch reagieren konnten, öffnete sich die Zimmertür, und Jule stand im Raum.
Sie starrte auf das halb fertige Kostüm. Es war zu spät, es zu
verstecken. Ein resigniertes Lächeln trat in ihr Gesicht.
»Ach, herrje. Ich habe ja schon befürchtet, dass ihr euch etwas in
der Art ausdenkt.« Sie schüttelte den Kopf. »Soll ich das etwa anziehen?«
»Du bist viel zu früh, das darfst du noch gar nicht sehen.« Uli zog
eine Decke aus dem Schrank und ließ alles darunter verschwinden. »Warte, bis es
fertig ist. Dann wirst du dich sicher total freuen.«
»Davon bin ich überzeugt«, meinte Jule ironisch.
Marie beobachtete sie. Irgendwas stimmte nicht mit ihr. Ihre lockere
Art wirkte aufgesetzt, als bedrückte sie etwas und als wollte sie es sich nicht
anmerken lassen.
»Alles okay bei dir?«, fragte Marie, nachdem Uli losgelaufen war, um
ein drittes Sektglas zu holen.
»Ach, bin nur ein bisschen erschlagen. Die Party gestern Abend
steckt mir noch in den Knochen.«
Beiden war klar, dass das nur eine Ausrede war. Trotzdem beschloss
Marie, das Spiel mitzuspielen.
»Bis heute Abend musst du aber wieder fit sein«, sagte sie.
Jule lächelte. »Das wird schon. Keine Sorge.«
Uli kehrte mit dem Sektglas zurück.
»Habt ihr das mit Marlon eigentlich schon gehört?«, fragte Jule.
Marie horchte auf. »Mit Marlon?«
»Ja. Die Polizei war gestern bei ihm. Auf dem Hof seiner Eltern
steht noch immer ein Streifenwagen. Der soll diese erste Amokdrohung
ausgesprochen haben, ihr wisst schon, die Niklas erst auf die Idee gebracht
hat. Und seit gestern ist er verschwunden.«
Marie fiel ein Stein vom Herzen. Die Polizei wusste also längst
Bescheid, auch ohne ihre Hilfe. Jetzt brauchte sie keinem mehr erzählen, was
Ben und sie getan hatten. Es kam auch ohne ihr Zutun alles in Ordnung. Die
Polizei würde schon verhindern, dass er am Anne-Frank-Gymnasium Amok lief,
falls er das wirklich vorhatte.
Eine Weile redeten sie noch über Marlon. Uli und Jule waren der
festen Überzeugung, alles wäre ein Missverständnis. Niemals würde Marlon einen
Amoklauf planen. Irgendwann beschloss Marie, das Thema zu beenden. »So, aber
jetzt genug davon!«, meinte sie. »Heute ist nicht der Tag für so was.« Sie
füllte die drei Sektgläser nach. »Wir sind hier, um zu feiern. Heute Abend
werden wir zum letzten Mal unter uns sein, bevor Jule heiratet.« Sie hob ihr
Glas zu einem Toast. »Alles andere spielt ab sofort keine Rolle mehr. Ab jetzt
geht es nur noch darum, uns einen schönen Tag zu machen. Alle einverstanden?«
Uli hob ihr Glas. »Einverstanden.«
Jule lächelte auf eine Weise, die für einen winzig kleinen Moment
den sorgenvollen Schatten wiederkehren ließ, den Marie zu Anfang bemerkt hatte.
Doch dann wischte sie mit einer Handbewegung alles beiseite und hob ebenfalls
ihr Glas.
»Einverstanden«, sagte sie. »Auf einen schönen Tag.«
15
Heike tauchte mit einer kleinen transparenten Plastiktüte
in der Hand auf. Hambrock
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