Bullenhitze
Tod mit einem wohligen Schauer über meinem Rücken zur Kenntnis genommen«, versuchte sie nicht einmal im Ansatz, die Kommissare zu belügen.
»Das heißt, dass das Verhältnis zu Ihrem ehemaligen Mann eher unterkühlt war.«
»Unterkühlt ist ein schöner Ausdruck für die Antarktis. Nicht existent würde es treffender beschreiben.«
»Wie kam das?«
Wieder sah sie auf die Uhr. »Da müsste ich ein wenig weiter ausholen. Haben Sie ein bisschen Zeit mitgebracht, meine Herren?«
Beide nickten.
»Gut«, begann sie. »Ich habe bis vor etwa zweieinhalb Jahren mit meinem geschiedenen Mann im Nachbarhaus gewohnt, Sie waren vermutlich schon drüben. Dann hat er mir, ganz nonchalant während eines Abendessens, eröffnet, dass er sich von mir scheiden lassen würde. Einfach so, aus heiterem Himmel. Dabei dachte ich immer, wir würden eine relativ solide und harmonische Ehe führen. Nun ja. Der Grund war seine damalige Sekretärin und jetzige Witwe.«
»Frau Wohlrabe …, also … die Frau Wohlrabe von nebenan«, stotterte Lenz, »war die Sekretärin Ihres verstorbenen Exmannes?«
»Ja, sie war seine Sekretärin. Es war die klassische Geschichte, in der die gehörnte Ehefrau es als Letzte bemerkt. Später habe ich natürlich erfahren, dass sich die Belegschaft seit Monaten das Maul zerrissen hatte, aber mir hat bedauerlicherweise niemand etwas davon erzählt.«
»Sie sind damals sofort ausgezogen?«
»Auf der Stelle, ja. Keine Woche später ist seine jetzige Frau und aktuelle Witwe eingezogen.«
»Wie kommt es, dass Sie direkt nach nebenan gezogen sind?«, wollte Hain wissen.
Sie lächelte ihn verschmitzt an. »Ach, das war eigentlich mehr die Rache der betrogenen Frau. Etwa vor einem guten Jahr ist mir zu Ohren gekommen, dass unsere alten Nachbarn nach Spanien auswandern würden, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. In einem Anfall von Rachegelüsten habe ich mir überlegt, dass es mir eine große Freude wäre, dem turtelnden, frisch vermählten Ehepaar ein klein wenig die gute Laune dadurch zu vermiesen, dass sie mir beim Rasenmähen zusehen müssen, während sie auf ihrer frisch renovierten Terrasse den Morgenkaffee genießen.«
Nun musste auch Lenz schmunzeln. »Hat Ihr Plan funktioniert?«
»Anfangs haben sie es mit Stellwänden probiert. Nachdem die während eines Sturmes davongeflogen und in meinem Garten gelandet sind, haben sich die beiden ins gemütliche Innere des Hauses zurückgezogen. Trotzdem glaube ich, dass der Stachel, den ich ihnen ins Fleisch gesteckt habe, tief sitzt. Und ich kann mir keine schönere Wohngegend in Kassel vorstellen als diese. Ich wohne überaus gerne hier, auch wenn meine Nachbarschaft zur Linken aus moralisch nicht sehr anspruchsvollen Menschen besteht.«
»Wie lange waren Sie mit Herrn Wohlrabe verheiratet?«, wollte Hain wissen, der mittlerweile wieder seinen Notizblock in der Hand hielt und mitschrieb.
»31 Jahre, sechs Monate und 13 Tage.«
»So genau wäre es nicht nötig gewesen.«
»Lassen Sie mal. Solche Daten hat man einfach im Kopf, wenn man sich abserviert fühlt wegen einer Jüngeren, Schöneren.«
Es entstand eine kurze Pause.
»Haben Sie im Betrieb Ihres Exmannes mitgearbeitet?«, wollte Lenz wissen.
»Zunächst muss ich Ihnen erklären, dass der Betrieb von meinem Vater gegründet wurde. Günther hat bei der Hochzeit meinen Namen angenommen, was damals noch sehr ungewöhnlich war, um für eine eventuell anstehende Übernahme keine Namensänderung vornehmen zu müssen.«
»Interessant«, meinte Lenz.
»Ja, durchaus. Aber ich habe, um auf Ihre Frage zurückzukommen, nie im Bestattungsinstitut mitgearbeitet. Im Nachhinein ging mir manchmal durch den Kopf, dass sich dadurch vielleicht eine Sekretärin hätte einsparen lassen, aber na ja. Wie man es macht, es ist am Ende immer falsch.«
»Haben Sie einen Beruf?«
»Ich bin Lehrerin, Herr Kommissar. Grundschullehrerin.«
»Und Sie unterrichten?«
»Aber natürlich, ja, mit ganz viel Freude. Wenn ich in den letzten Jahren meinen Job nicht gehabt hätte, würde ich vermutlich schon an irgendeinem Baum hängen.«
»So schlimm?«
»Schlimmer. Aber ich will mich nicht beschweren. Eine gute Freundin von mir hat am Samstag einen schweren Unfall gehabt und liegt im Koma. Das ist etwas, was mich zur Zeit viel mehr beschäftigt.«
Lenz schluckte.
»Im Angesicht des Todes ist ein bisschen Liebeskummer doch zu vernachlässigen, was meinen Sie?«
»Durchaus«, bestätigte Lenz und dachte dabei daran, dass
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