Bullenhitze
der Tod oder der nahe Tod manchmal so etwas wie Liebeskummer auslösen kann.
»Wann haben Sie Ihren geschiedenen Mann zuletzt gesehen?«, riss Hain ihn mit der Frage aus seinen schlagartig trübe gewordenen Gedanken.
»Das ist schon ein paar Tage her, Anfang letzter Woche, glaube ich. Da sah er allerdings noch aus wie das blühende Leben. Seine neue Frau hat ihm offenbar sehr gut getan«, schickte sie süffisant hinterher.
»Und danach nicht mehr?«
Nun setzte Gerlinde Wohlrabe ihr gewinnendstes Lächeln auf. »Nein, danach nicht mehr, Herr Kommissar. Und ich kann nur hoffen, dass ich für den Zeitpunkt, an dem mein geschiedener Mann das Zeitliche gesegnet hat, ein perfektes Alibi habe, weil ich ganz sicher ein noch perfekteres Motiv gehabt hätte, ihn zu ermorden, was ja offensichtlich geschehen ist, wenn man den Gerüchten in der Stadt und Ihrem Besuch glauben darf.«
»Wir gehen tatsächlich davon aus, dass Ihr Exmann ermordet wurde«, bestätigte Lenz. »Und weil wir gerade davon sprechen, wo waren Sie am Samstag zwischen 20 Uhr und Mitternacht?«
»Treffer«, antwortete sie, ohne einen Moment nachzudenken. »Ich war am Samstag auf der Geburtstagsfeier einer Freundin, zusammen mit etwa 80 weiteren Teilnehmern. Wenn man 50 wird, macht man es gerne etwas größer.«
»Und dort waren Sie den ganzen Abend?«
»Ja, den ganzen Abend. Aber selbst wenn ich die Party für eine oder zwei Stunden verlassen hätte, könnte ich unmöglich in Kassel gewesen sein, weil die Festivität sich nämlich in Rosenheim im tiefsten Bayern zugetragen hat.«
Wieder lächelte sie. Dabei wurde ein kleines Grübchen auf ihrer rechten Wange sichtbar.
»Und um die Sache komplett zu machen, gebe ich Ihnen gleich die Kontaktdaten meiner Freundin, damit sie Ihnen das alles bestätigen kann.«
Sie ratterte so schnell einen Namen, eine Adresse und eine Telefonnummer herunter, dass Hain Schwierigkeiten hatte, mitzuschreiben.
»Und nach Ihrer Meinung«, fragte Lenz im Anschluss weiter, »hatten Ihr Exmann und seine neue Partnerin eine harmonische Beziehung?«
»Da bin ich nicht die Richtige, das zu beurteilen. Natürlich habe ich mir direkt nach der Trennung gewünscht, dass den beiden ihre junge Liebe nach ein paar Wochen um die Ohren fliegen würde, schon wegen des gewaltigen Altersunterschiedes, aber das hat sich nicht erfüllt, wie wir wissen. Und ein paar Monate später war es mir egal, da hätte er auf Knien um Verzeihung bitten können, es war einfach vorbei. Mittlerweile bin ich ihm sogar in gewisser Weise dankbar.«
»Hatte er Feinde?«
»Mein Exmann war nie zimperlich. Das hat ihm eine Menge wirtschaftlichen Erfolg, aber auch jede Menge Menschen eingebracht, die ihn auf den Tod nicht leiden konnten. Wenn ich es recht überlege, könnte jeder andere Bestatter in der Stadt sein potenzieller Mörder sein.«
»Geht es in der Branche wirklich so ruppig zu?«
Sie lachte laut auf.
»Ruppig ist ein Wort, das vielleicht auf dem Sportplatz seine Berechtigung hat, wenn die Spieler zweier Mannschaften sich gegenseitig die Knochen kaputt treten, weil sie einem Ball hinterherhetzen. In der Bestatterbranche würde ich eher von Hauen und Stechen sprechen. Nach meiner Wahrnehmung hat er sich den Gepflogenheiten der Branche angepasst, wenn er nicht sogar den Takt vorgab. Das galt allerdings nur bis zu unserer Trennung, was nach der Scheidung passiert ist, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Aber ich vermute, er hat sich nicht groß verändert, was das Geschäftliche angeht. Privat schon eher«, fügte sie sarkastisch hinzu.
»Gab es eine einvernehmliche Scheidung?«
»Nein, wo denken Sie hin. Da wurde um jede Tasse und jeden Löffel gefochten. Das ist deins und das ist meins, nach dem Motto etwa.«
»Sind Sie mit den Lösungen zufrieden, die gefunden wurden?«
»Geschirr und Porzellan haben mich noch nie besonders interessiert, Herr Kommissar. Und bei den restlichen Dingen bin ich überaus gut weggekommen.«
»Das heißt, Sie haben keine finanziellen Sorgen?«
Wieder ihr süffisantes Grinsen. »Nicht im Geringsten.«
*
»Jetzt haben wir zwei Witwen mit Motiv«, fasste Hain die Befragung zusammen, während er den Motor des Dienstwagens startete.
»Aber die zweite hat, vorbehaltlich der Prüfung, ein wasserdichtes Alibi.«
»Ja, das wird sie wohl haben. Aber ich kann ihren Ärger gut verstehen, an ihrer Stelle wäre ich auch sauer auf den Kerl gewesen. Da bringt man erst 30 Jahre Ehe hinter sich, denkt, dass man aus dem
Weitere Kostenlose Bücher