Bullenhitze
sich noch etwas vergrößert. Er zog sich den neben dem Bett stehenden Hocker zurecht, setzte sich und griff nach ihrer Hand, die ihm noch immer kalt vorkam, eiskalt. Ihr Brustkorb hob und senkte sich leicht im Rhythmus der Maschine, die sie mit Luft versorgte. Lenz streckte seinen rechten Arm nach vorne und streifte vorsichtig mit dem Daumen über ihre dick geschwollene Wange.
»Hallo, Maria«, flüsterte er und wollte eigentlich noch mehr sagen, doch ihm fiel für den Augenblick nichts Passendes ein.
»Ja, jetzt sitze ich hier«, führte er seine Ansprache dann doch fort, »und weiß nicht, was ich sagen soll, weil ich so aufgeregt bin.«
Er führte ihre Hand mit aller Vorsicht in die Nähe seiner Brust.
»Hier, mein Herz klopft wie irre. Fühl mal.«
Piep, piep, piep kam es aus der Maschine hinter ihr, ohne dass sich die Geschwindigkeit veränderte. Der Kommissar legte die Hand wieder neben ihrem Körper ab, ohne sie jedoch loszulassen.
»Mein Gott, was würde ich dafür geben, wenn du jetzt wach werden könntest und es Samstagmorgen wäre, Maria«, flüsterte er. »Es ist Samstagmorgen, wir kommen gerade vom Markt, hätten in Ruhe bei Enzo gefrühstückt und sind danach vielleicht noch in der Aue spazieren gewesen.«
Wieder betrachtete er ihr Gesicht und war erneut absolut sicher, dass sie nie in ihrem gemeinsamen Leben schöner gewesen war. Und dass er sich ihr nie in seinem Leben näher gefühlt hatte. Dann blieb er eine ganze Weile einfach sitzen, sah sie an, streichelte ihre Hand und dachte an die Zeit, in der sie sich kennengelernt hatten.
Die Frau des Oberbürgermeisters und der Bulle.
Auf einmal, er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, stand Anne Wolters-Richling im Zimmer.
»Tut mir leid, aber die Besuchszeit ist zu Ende. Meine Kollegin ist schon wach.«
Lenz sprang auf.
»Nein, nein, beruhigen Sie sich. Die liegt jetzt noch ein paar Minuten rum, danach muss sie noch ein bisschen Schreibkram erledigen. Also alles ganz easy. Verabschieden Sie sich in Ruhe, ich warte draußen auf Sie.«
Lenz setzte sich wieder, griff erneut nach Marias Hand und nahm ihre Finger zwischen seine.
»Jetzt kann ich nichts mehr sagen, weil sich alles so blöd anhören würde«, flüsterte er. »Werd einfach gesund, ich freu mich drauf.«
Nach einem letzten Blick zurück verließ er das Zimmer. Anne Wohlers-Richling saß mit geschlossenen Augen gegenüber der Tür auf einem Hocker und gähnte.
»Ich hasse diese Nachtdienste«, erklärte sie mit einer Hand vor dem Mund. »Kaum hat man sich daran gewöhnt, sind die Tage auch schon vorbei. Die Nächte, besser gesagt«, schickte sie hinterher.
»Das kenne ich. Früher musste ich auch viele Nachtschichten schieben«, gab er zurück, während er sich die grüne Kutte von den Schultern zog.
Sie hob den rechten Arm und machte eine abwehrende Handbewegung. »Verraten Sie mir bloß nicht zu viel von sich, sonst werde ich noch neugierig. Dann will ich am Ende alles über den Mann wissen, der bestimmt der viel Bessere wäre für sie.« Ihr Arm fuhr herum und wies auf das Zimmer, in dem Maria lag.
»Schon wieder Ärger mit ihrem Mann?«
»Das walte Hugo. Aber nicht ich persönlich, sondern die Tagschicht. Er kam heute Mittag hier mit einem Kamerateam an. Vier Mann wollte er in ihr Zimmer schleppen und sich dabei filmen lassen, wie er sich um sie sorgt. Das ist doch völlig gaga, oder?«
»Er ist Politiker«, gab der Polizist zu bedenken.
»Er ist ein Arsch«, bügelte sie sein Argument mit einem einzigen Federstrich weg. »Und er ist wohl einer von der ganz üblen Sorte. Homestory mit der Frau, die um ihr Leben kämpft, oder was?«
Bei ihren letzten Worten konnte Lenz die Tränen nur mit größter Mühe unterdrücken.
»Warum bleibt sie bei diesem Idioten?«, fragte sie mit völligem Unverständnis und einer gehörigen Portion Empörung in der Stimme. »Das verstehe ich nicht.«
Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er antwortete. »Das ist leider nicht mit einem Satz erklärt. Ich kenne sie schon ziemlich lange und würde gerne mit ihr leben, das können Sie mir glauben, aber es klappt einfach nicht.«
Die junge Frau stand auf und hielt ihm die rechte Hand hin. »Ich heiße übrigens Anne, wenn Sie wollen. Anne mit Du und so.«
Lenz überlegte, wie er mit dem Angebot umgehen sollte.
»Und wenn Sie oder du wollen«, schob sie schnell hinterher, »sind Sie für mich Mister Smith.«
»Dann aber Mister Smith mit du und so«, erwiderte er mit
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