Bullenhitze
gewesen wäre. Aber auch Frankfurt, das er zuvor nur von sporadischen Besuchen her kannte, erschien ihm wie eine Kleinstadt. Jedes Quartier ein eigenes Dorf, sagte er gerne, verbunden durch vierspurige Spangen. Und auch die exquisite Lage seiner Wohnung im neuen Gutleutviertel hatte ihn nicht umstimmen können, der Stadt den Rücken zu kehren.
Außerdem, und das war der eigentliche Hintergrund, hatte er zufällig eine alte Freundin wiedergetroffen. Auf einer seiner wenigen Fahrten nach Kassel, zu seinem Vater, war sie ihm im ICE-Speisewagen über den Weg gelaufen. Frisch verheiratet, aber noch immer die gleiche Schönheit, in die er sich ein paar Jahre zuvor Hals über Kopf verliebt hatte. Man verabredete sich ein paar Mal, und zu seinem großen Erstaunen wurden seine rasch wieder aufgeflammten Gefühle von ihr erwidert.
So ging es etwa drei, vielleicht vier Monate, bis sie ihm mit ein paar warmen, salbungsvollen Worten erklärte, dass sie das Verhältnis nicht weiterführen könne, da sie ihren Mann zu sehr liebe und ihn niemals verlassen würde. Für Roland Kronberger brach eine Welt zusammen. Unter anderem wegen ihr hatte er seinen Job in Frankfurt gekündigt, ihretwegen hatte er sich eine Wohnung in Kassel genommen, und dann dieses Ende. Für ein paar Tage plante er, zurück nach New York zu gehen, wo es ihm von den Frauen auch nicht übermäßig schwer gemacht worden war, wenn auch die Eine, die Passende, nicht dabei gewesen war, entschied sich jedoch dagegen. Er würde Kassel zu seinem neuen Lebensmittelpunkt machen und sehen, was das Schicksal für ihn bereithielt, beschloss er.
Noch immer starrte Roland Kronberger den Telefonhörer in seiner Hand an, noch immer piepte es rhythmisch. Er drückte entnervt den Kontakt nach unten, der ihm ein neues Gespräch ermöglichte, und wählte eine Nummer.
»Van Dunckeren«, dröhnte es kurze Zeit später in seinem Ohr.
»Hallo Roger, ich bin’s, Roland Kronberger.«
»Hallo Roland. Schön, Sie zu hören«, erwiderte der Angerufene mit starkem flämischen Akzent. »Wie läuft es immer so bei Ihnen? Kommen Sie voran?«
»Bestens. Ich denke, wir können in den nächsten Tagen Vollzug vermelden. Die Sache mit der Bürgerinitiative läuft perfekt, und der Bürgermeister ist richtiggehend handzahm geworden. Leider ist mein Vater überraschend verstorben, aber das wissen Sie bestimmt.«
»Ja, diese traurige Kunde hat sich schon bis zu uns herumgesprochen. Mein Beileid übrigens«, erklärte der Belgier mit einem Lachen in der Stimme.
»Danke. Können wir uns in den nächsten Tagen sehen?«
»Ich rufe Sie an, wenn ich einen Termin frei habe. Spätestens nächste Woche machen wir die Sache fertig.«
»Gut. Dann warte ich auf Ihren Anruf.«
»Klar, ich melde mich, sobald ich Ihnen einen genauen Termin sagen kann.«
28
Lenz und Hain saßen im Büro des Hauptkommissars und starrten auf eine große Pinnwand. Auf Moderationskarten standen die Namen all derer, die in den Mordfällen Günther Wohlrabe und Werner Kronberger eine wie auch immer geartete Rolle spielten, doch es ließ sich, bis auf das geplante Krematorium, keine Verbindung zwischen den Personen herstellen. Dann klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch. Die beiden Polizisten sahen das Gerät an, dann jeder auf die Uhr über der Tür, und danach wieder das Telefon.
»Geh du dran, Thilo. Wenn es jemand Nerviges ist, wimmel ihn ab.«
»Hain im Büro Lenz«, meldete der Oberkommissar sich, hörte kurz zu und reichte dann den Hörer weiter.
»Dr. Franz«, erklärte er seinem Chef dabei leise.
»Hallo, Dr. Franz. Wie war es in der Oper?«, begrüßte Lenz den Rechtsmediziner.
»Gruselig. Die Solostimmen waren uninspiriert, das Orchester indisponiert, und über den Dirigenten ein Wort zu verlieren, wäre seinem Wirken nicht angemessen. Soviel dazu.«
»Ui«, fasste Lenz zusammen, »das klingt wirklich nach einem totalen Desaster.«
»In der Tat. Allerdings rufe ich Sie nicht an, um mit Ihnen über diesen verschissenen Abend zu reden, sondern weil ich hier auf dem Tisch einen liegen habe, der Sie brennend interessieren dürfte.«
»Diesen Kronberger, meinen Sie?«
»Exakt um den geht es. Und was ich bei dem im Darm gefunden habe, wird Sie garantiert vom Schlitten hauen. Aber zunächst sollte ich Ihnen sagen, woran der arme Kerl denn nun gestorben ist.«
»Und?«, stieg Lenz auf das bekannte Spiel des Rechtsmediziners ein.
»Die Stromstöße, ich vermute zumindest, dass es mehrere waren, haben
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