Bullenhitze
hatte er nur ein paar Stunden später mit Roland Kronberger telefoniert, der natürlich von seinem Trennungsschmerz nichts wissen konnte, und hatte noch am gleichen Tag die Modalitäten seiner Meinungsänderung in Sachen Krematoriumsbau ausgehandelt. So kam zu seiner persönlichen Rache an Yvonne Wild noch eine nicht zu unterschätzende Summe an Bargeld, die ihm zugeflossen war.
Doch er hatte nicht mit den Bürgern Hofgeismars und der umliegenden Gemeinden gerechnet. Schon ein paar Stunden, nachdem er seinen Entschluss als Pressemeldung veröffentlicht hatte, waren die ersten bösen E-Mails bei ihm eingegangen, und das war nur der Beginn einer Welle gewesen, die ihm mehr und mehr zugesetzt hatte.
Seinen Laden hatte er heute den ganzen Tag nicht betreten, weil er sich nicht mit Menschen herumplagen wollte, die seine Beweggründe weder kannten noch je verstehen würden. Und erklären konnte und wollte er sich aus guten Gründen lieber nicht.
Doch es gab noch einen weiteren Grund für die Angst, mit der er vor dem Haus seines Widersachers saß, den er nicht bedacht hatte. Mit der Entscheidung, Rache an seiner ehemaligen Freundin zu nehmen, hatte er sich endgültig bei ihr disqualifiziert. Das hatte sie ihm in einer SMS mitgeteilt: › Damit ist auch der Rest, den ich noch für dich empfunden habe, erloschen. Du bist ein mieses Schwein.‹
Tausendmal hatte er seitdem diese Worte gelesen und mit jedem Mal war ihm seine Aktion unsinniger erschienen. Aber was konnte er jetzt noch tun? Immerhin war er es selbst gewesen, der diese Fakten geschaffen hatte.
Nun flackerte eine Energiesparleuchte vor dem Haus auf. Dann öffnete sich die Haustür und Yvonne Wild trat heraus. Als Teamleiterin in einem großen Callcenter arbeitete sie im Schichtbetrieb, was bedeutete, dass an diesem Morgen ihre Arbeit um 4.30 Uhr begann. Sie trug den roten Kurzmantel, den Bittner ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte, und hohe, schwarze Stiefel. Der ehemalige Zehnkämpfer duckte sich tief hinters Armaturenbrett und hoffte, dass ihr sein Wagen unter den vielen anderen am Straßenrand nicht auffallen würde. Sie stieg in ihren cremefarbenen Mini, startete den Motor, schaltete das Licht ein und brauste davon. Dreh bitte nicht so hoch, der Motor ist doch eiskalt, das habe ich dir hundert Mal erklärt, dachte Bittner, um sich im gleichen Augenblick schmerzlich darüber klar zu werden, dass er keinen Einfluss mehr auf das Leben von Yvonne Wild nehmen konnte. Er startete ebenfalls den Motor seines Autos und fuhr hinter ihr her. Schnell hatte er sie eingeholt und folgte ihrem auffälligen Untersatz. Als sie auf das obere Ende der vierspurigen Wilhelmshöher Allee eingebogen war, beschleunigte er, setzte sich auf gleiche Höhe mit ihr und hupte. Ihr Kopf flog herum und im matten Ablicht ihrer Armaturenbrettbeleuchtung erkannte er ihr müdes Gesicht. Und sie erkannte seins. Kopfschüttelnd trat sie das Gaspedal durch und legte sofort ein paar Meter zwischen ihren und seinen Wagen. Doch an der nächsten Ampel musste sie scharf bremsen, sonst wäre sie bei Rot darüber hinweg gerast. Er bremste neben ihr und sah gerade noch, wie sie mit der rechten Hand den Knopf der Zentralverriegelung bediente und der Stift neben ihrem Oberarm verschwand. Dann hob sie den Kopf, starrte auf das rote Licht der Ampel und trommelte mit den Fingern nervös auf dem Lenkrad. Sebastian Bittner ließ die Scheibe der Beifahrerseite hinunter gleiten und hupte erneut, doch sie reagierte nicht. Wieder die Hupe. Nun sah sie ihn an und öffnete ihre Scheibe.
»Was soll das? Du machst mir Angst. Lass mich in Ruhe.«
»Ich muss mit dir reden, Yvonne. Bitte fahr kurz rechts ran, es dauert nicht lange.«
»Keine Chance, ich bin sowieso schon spät dran. Und auch wenn ich Zeit hätte, ich will nicht mit dir reden.«
»Bitte«, flehte er. »Es dauert nur einen Moment.«
Ohne zu antworten ließ sie die Scheibe nach oben gleiten und starrte wieder auf die Ampel, die in diesem Moment umsprang. Mit quietschenden Reifen schoss ihr Wagen davon. Bittner versuchte, ihr zu folgen, würgte dabei jedoch seinen Motor ab. Mit zitternden Fingern griff er zum Zündschlüssel, drehte ihn hektisch nach links und sofort wieder nach rechts. Als der Motor lief, ließ er die Kupplung kommen und hetzte hinter ihr her.
Zwei Ampeln lang hatte sie Glück und erwischte die Grünphase, doch an der Kreuzung zur Querallee musste sie wieder bei Rot stoppen. Wieder blickte sie auf die Ampelanlage.
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