Bullenhitze
Bittner kam ein paar Sekundenbruchteile später an als sie und rief durch seine noch immer offen stehende Seitenscheibe ihren Namen.
»Sprich mit mir, bitte«, schickte er hinterher.
Yvonne Wild sah sich suchend um, doch in der noch tief und fest schlafenden Stadt gab es um diese Zeit niemanden, der ihr helfen konnte. Weit voraus erkannte sie die roten Bremslichter eines anderen Wagens, doch in der näheren Umgebung gab es nur ihren Exfreund und sie.
»Sprich mit mir!«, forderte der nun erneut lautstark von ihr, und selbst durch ihre geschlossene Scheibe konnte sie die Wut und die Verzweiflung in seiner Stimme hören. Für einen kurzen Augenblick wollte sie ihm schon nachgeben, dann jedoch drückte sie das Gaspedal durch und überfuhr die rote Ampel und die Kreuzung. Bittner, der damit nicht gerechnet hatte, brauchte etwas Zeit, um anzufahren und wieder aufzuholen. Als er neben ihr war, drehte sie kurz den Kopf und schaute in sein Gesicht. Was sie sah, jagte ihr einen riesigen Schrecken ein, denn die Fratze, in die sie blickte, hatte nichts mehr mit dem Mann zu tun, den sie bis vor ein paar Wochen geliebt hatte.
Sebastian Bittner realisierte, dass er keine Chance mehr hatte. Sie wollte nicht mit ihm sprechen, und er sah keine Möglichkeit, sie dazu zu zwingen. Wie ein Blitzlicht schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er vor ihr an der mit einer Schranke gesicherten Einfahrt zu ihrem Arbeitsplatz sein könnte, doch es war ihm klar, dass ihn auch das nicht weiterbringen würde. Er schaltete in den dritten Gang, blickte noch einmal zu ihr hinüber, sah im aufflackernden Licht der vorbeihuschenden Straßenbeleuchtung ihr Gesicht, und riss sein Lenkrad nach rechts.
Das Geräusch des aufeinander prallenden Blechs war ohrenbetäubend. Zersplitterndes Glas, brechendes Plastik und das Quietschen von Gummi auf dem Asphalt vermischten sich zu einer Sinfonie der Zerstörung. Der Mini von Yvonne Wild versetzte zwei Meter nach rechts, und die junge Frau hatte nicht den Hauch einer Chance. Sie krachte mit der rechten Frontseite in das hintere linke Zwillingsrad eines kleinen Getränkelasters, der in einer der Schrägparkbuchten etwa 100 Meter vor dem Kreishaus abgestellt war.
Bittners Wagen wurde von der Wucht des seitlichen Aufpralls auf den Mini zurückgeschleudert. Der kräftige Mann versuchte mit hektischen Lenkbewegungen, das Auto nicht aus der Kontrolle zu verlieren, doch er hatte ebenso wenig eine Chance wie seine Exfreundin. Auf Höhe einer Straßenbahnhaltestelle berührten seine beiden linken Reifen den Bordstein, dadurch hob das Auto leicht ab. Durch das wilde Lenken kam der Wagen für ein paar Sekundenbruchteile wieder frei, um dann mit umso größerer Wucht den Bordstein zu treffen. Dadurch wurde eine Bewegung um die Längsachse ausgelöst, die darin mündete, dass das heftig schlingernde Auto anfing, sich zu überschlagen. Sebastian Bittner erkannte, dass ein Einschlag unmittelbar bevorstand. Er wusste nicht, worauf er prallen würde, aber er wusste, dass sein fliegender Untersatz irgendetwas treffen würde. Das Letzte, was er bewusst wahrnahm, war die Erinnerung an den Schmerz, den er damals in Sydney in seinem Fuß verspürt hatte und das Gesicht des Mannschaftsarztes, der die Wunde nähte. Dann sprang er mit jeder Faser seines durchtrainierten Körpers in ein tiefes, schwarzes Loch.
*
Etwa um dieselbe Zeit wurde der am Bett von Maria Zeislinger schlafende Lenz sanft von Anne Wolters-Richling geweckt.
»Hey, Mr. Smith, es ist Zeit, die Kurve zu kratzen«, erklärte sie dem Hauptkommissar mit ihrer herrlich schnoddrigen Art. Drei Stunden zuvor hatte sie ihn zu Marias Bett begleitet und ihm erklärt, dass ein am Vortag aufgenommenes Computertomogramm die Ärzte quasi in Hochstimmung versetzt hatte, weil die Schwellung im Kopf fast auf null zurückgegangen war. Danach hatte sie ihn allein gelassen, weil sie dadurch, dass sie in dieser Nacht ohne ihre Kollegin arbeitete, sehr viel mehr zu tun hatte als sonst.
»Danke«, antwortete der Kommissar verschlafen und stand auf.
»Na ja, ich hab schon noch ein paar Minuten eingerechnet für den Abschied. Es soll doch kein Alarmstart werden, oder?«
»Nein, vielen Dank.«
»Dann sehen wir uns gleich draußen auf dem Flur«, gab sie vergnügt zurück und verließ das Zimmer.
Lenz trat etwas näher ans Bett, beugte sich hinunter zu Marias Gesicht und küsste sanft ihre Stirn.
»Mach’s gut«, flüsterte er. »Und werd um Himmels willen wieder
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