Bullet Boys
aus dessen einer Tasche ein Knäuel orangefarbener Schnur rausguckt, und schmutzige Stiefel mit Stahlkappen. Er sieht aus wie der böse dritte Sohn eines renommierten Schweinezüchters. Sein ältester Bruder ist der Erbe, der zweite der Reservemann und der hier ist der Psychopath.
»Max, das ist Alex«, sagt Levi, als wäre er Gastgeber einer Cocktailparty. »Lass dich von seinem unschuldigen Äußeren nicht täuschen. Der Typ ist tödlich. Er kann auf tausend Schritt einem Fasan den Kopf wegpusten.«
Ich wusste es!
Alex verzieht kaum merklich das Gesicht. Er ist einer dieser dunklen Typen, auf die bescheuerte Mädchen wahrscheinlich abfahren. Er hat graue Augen und ein spitzes Kinn. Allerdings scheint er nicht sprechen zu können.
»Und das ist Max Cosgrove, ein hungriger Typ und Ex-Insasse von der Risings«, fährt Levi fort. Alex zieht eine Augenbraue einen Viertelmillimeter hoch. Ich warte drauf, dass er wissen will, was passiert ist, aber er sagt gar nichts. Boah! Der Eismann kommt!
»Pass auf dein Essen auf«, rät Levi Alex. »Wenn ich Max richtig verstanden habe, dann isst er sogar seiner darbenden Großmutter das Frühstück weg, wenn er Hunger hat.«
Ich spüre, wie ein unangenehmes Erröten von meinem Hals aufsteigt und sich auf meinem Gesicht verteilt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine kleine Lüge so bald verbreitet werden würde. Ich verfluche meine verräterischen Wangen. Simon wird auch ständig rot, also muss das genetisch sein. Mein Bruder läuft schon rosa an, wenn ihn nur ein weibliches Wesen anspricht, das weder Andrea noch meine Mutter ist. Schon komisch, dass ein so sensibler Mensch jetzt zum Killer ausgebildet wird.
»Hast du Geschwister?«, erkundige ich mich leutselig.
»Nein«, sagt Alex und wendet sich mannhaft wieder seinem Klemmbrett zu.
Ich lehne mich ans Brückengeländer. Unter uns sind Schrebergärten und der Radweg, der in die Stadt führt. Auf der anderen Seite erstrecken sich Felder bis zu einem Waldgürtel und dahinter kommt das verfluchte Moor. Ich beobachte aus den Augenwinkeln, wie Alex die vorbeifahrenden Autos notiert. Er ist nicht gerade gesprächig, aber dasist schon okay, denn Levi kann überhaupt nicht die Klappe halten. Als hätte er tausend Tassen Kaffee getrunken. In den ZWEI STUNDEN, die wir auf dieser Brücke ausgesetzt sind, redet er über:
Mädchen im Geografiekurs.
Mädchen in seinem Mathekurs.
Mädchen in seinem Chemiekurs.
Das bevorstehende Spiel zwischen Barcelona und Chelsea.
Die eigenartigen Furchen im Kinn des Geografielehrers.
Ehen von Leuten verschiedener Hautfarbe.
Das Siegtor, das er gegen die Risings schoss, als er noch Fußball spielte.
Die Neunzehnjährige, die er in der Schuldisco aufgerissen hat.
Die Tatsache, dass er genau genommen keine Jungfrau mehr ist.
Dass man von Bananen Verstopfung kriegen kann.
Warum seine Mutter immer noch an Gott glaubt.
Dass sein Dad der erste schwarze Feuerwehrmann Hammertons war.
Die Vorzüge von Mars gegenüber Snickers.
Warum wir bald von Geburt an mit dem Internet verkabelt werden.
Scheidung.
Die Stadt Lincoln.
Den Ehering, den er mal beim Wühlen im Abwasserkanal von Hammerton gefunden hat.
Nach zwei Stunden habe ich das Gefühl, ich weiß mehr über Levi als über meine sogenannten Freunde auf derRisings. Aber es wird immer heißer und da trocknet sogar Levis Sprachfluss ein. Wir benutzen unsere Klemmbretter als Fächer und denken uns irgendwelche Zahlen aus. Der Verkehr kommt derweil fast zum Stillstand. Ich erfinde gerade ein Gedicht mit dem Titel »Ich fühlte mich wie ein Gott auf der Hammerton Brücke«, da sehe ich auf dem Hügel einen Armeelaster auftauchen. Es ist ein altes dunkelgrünes Gefährt, wie aus einem anderen Zeitalter. Es gibt keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Als der Laster wie eine riesige Kröte an uns vorbeikriecht, sehe ich hinten drauf etwa zehn Typen sitzen. Ich finde plötzlich die Anordnung der Kleingärten unter mir äußerst fesselnd und drücke mir das Klemmbrett wie einen Schild vor die Brust. Dann fliegt ein silberner Gegenstand durch die Luft. Er trifft Levi im Gesicht und ritzt ihm die Wange auf. Ein Verpflegungspäckchen.
»Wir geben euch einen aus!«, ruft einer vom Laster und zieht eine Grimasse.
»Guckt euch das an!« Levi zeigt uns seine Hand, an der Blut klebt. »Idioten«, brüllt er ihnen hinterher und ich höre es vom Laster lachen. Bis jetzt habe ich meinen Kopf mutig gesenkt gehalten, doch jetzt platzt es aus mir heraus:
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