Bullet Boys
dorthin geschlichen, weil mir mein Körper an ziemlich vielen Stellen wehtut.
»Ich weiß alles«, hat Simon gesagt. Selbst in Zivil sah er irgendwie militärisch aus. Seine Erscheinung war makellos: die Haare kurz geschoren, im Gesicht sauber rasiert, die Schuhe blank geputzt und das Hemd gebügelt. Der gute, sanfte Simon stand mit geradem Rücken und breiten Schultern da wie eine Eins. Sogar seine Stimme klang anders: Seine sorgfältig akzentuierte Privatschulen-Sprechweise hat sich weitgehend verflüchtigt. Vielleicht meint er, er bekäme einen besseren Draht zu seinen Untergebenen, wenn er deren Aussprache imitiert.
»Schon gut, du bist nicht auf dem Exerzierplatz«, knurrte ich.
»Madisons Bruder ist hier in Hammerton stationiert«, sagte er. »Er hat mir erzählt, du hättest Freitagabend auf das Kriegerdenkmal gepisst und zwei Soldaten beleidigt. Du hättest sie angegriffen, sagt er.«
In der Armee blüht der Klatsch. Simon hat wahrscheinlich bereits fünf Minuten nach der Prügelei davon erfahren.
Simon senkte die Stimme. »Max, du kannst dir so was nicht mehr erlauben. Das war deine letzte Chance. Wenn du so weitermachst, dann buchten sie dich ein.«
»Sag bitte nichts«, sagte ich und klang wie ein Sechsjähriger,sogar in meinen Ohren. »Die Eltern glauben, ich wäre hingefallen, weil ich betrunken war.«
»Natürlich sag ich nichts«, erwiderte Simon. »Aber ich wette, Dad wird es irgendwann erfahren.« Er blickte mich an. »Max, du musst dich am Riemen reißen. Ich mach mir richtig Sorgen um dich. Du verhältst dich, als hättest du wieder die Kontrolle über dich verloren.«
»Kontrolle«, sagte ich. »Kon-Trolle. Wenn du genau hinhörst, findest du darin ein eigenartiges Wort: Trolle. Kein Wunder, dass ich das nicht packe. Das macht mich irre. Jedes Mal wenn ich mir Mühe gebe, alles richtig zu machen, fürchte ich, dass diese lästigen Trolle kommen und mich mit ihren langen Froschlaichzungen ablecken.«
»Halt den Rand, Max«, sagte Simon. »Du redest mit mir, ist dir das klar? Ich will diesen Scheiß nicht hören.«
Ich verspürte einen Druck hinter den Augen. »Aber früher hast du diesen Scheiß toll gefunden«, sagte ich. »Du hast dich auf dem Boden gewälzt vor Lachen, wenn ich so was erzählt habe.«
»Du musst damit aufhören«, sagte Simon. »Wenn du weiter so aggressiv und grob und asozial bist, dann stecken sie dich in die Psychiatrie, das schwöre ich dir.«
Stille. Mein Blick fiel auf die toten braunen Blütenblätter, die unter dem Busch liegen. Zeit ist vergangen. Wind hat geweht. Anderswo in der Welt wurde gestorben.
»Der Soldat kannte mich.« Meine Stimme wackelte. »Er wusste, was ich auf der Risings gemacht habe, und er wusste, wie Dad mich bestraft hat.« Der Gedanke an Dads Strafe ist wie ein Blick in eine bodenlose schwarze Grube. Ich spüre einen Arm um meine Schultern. Simon ist der einzige männliche Mensch, der mich anfassen darf.
»Ich wollte nicht, dass er das vor meinen Freunden ausplappert«, sagte ich. Ich fasste vorsichtig an mein Auge. Es fühlte sich an wie ein heißer Eiterbeutel.
Dann rief Mutter uns zum Essen.
»Sag nichts«, bat ich.
Simon verrät mich natürlich nicht. Seit Jahren hat der große, treue Simon meinen Mist weggeputzt und hinterher alles gründlich desinfiziert. Doch Andrea hat andere Absichten.
Ich sitze vor dem weißen Baumwolltischtuch und blicke missmutig auf die blitzblanken Teller und das gut gekochte Essen. Die Servietten sind zu Quadraten gefaltet und liegen mit militärischer Präzision genau zwei Zentimeter über den Dessertlöffeln. Alle Löffel zeigen nach links. Alle Weingläser glänzen. Unter mir liegt ein blütenreiner gelber Teppich. Die Blumen in der Vase recken sich weiß und gelb und haben nicht einen Fleck auf den Blättern.
Simon, heute unpassenderweise in Jeans, sitzt neben seiner gertenschlanken, strahlenden Freundin, die in glänzendes Lila gehüllt ist und richtige Damenschuhe an den Füßen trägt.
Ich hocke in all dieser Pracht wie eine schleimige Kröte. Mutter würde mich am liebsten mit Handfeger und Müllschippe aufkehren und in den Mülleimer kippen. Dann könnte sie die Stelle sauber schrubben, an der ich gehockt habe, und Raumspray versprühen. Schon wäre alles wieder perfekt!
(Wieder guckt mir Simon in mein eines Auge und versucht, Kontakt aufzunehmen, aber heute ist alles voller atmosphärischer Störungen.)
Und da ist Dad, der das Fleisch aufschneidet, väterlich,die Ärmel aufgekrempelt,
Weitere Kostenlose Bücher