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Bullet Boys

Bullet Boys

Titel: Bullet Boys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Kennen
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das himmelblaue Hemd gebügelt, die Socken duftend, die Nasenhaare kurz geschnitten. In gespielt fröhlicher Laune gibt er einen abgedroschenen Witz über ein dreibeiniges Pferd zum Besten.
    »Warum gibt es keine dreibeinigen Pferde? Weil sie umfallen würden, wenn du sie beschlagen willst«, wiehert er.
    Ich schiele zu Andrea rüber. Sie sieht richtig knackig aus in diesem schrecklichen Kleid. Es bedeckt zwar ihre ganze Brust, aber der Stoff ist so dünn, dass man alles sehen kann. Sie hat eine sehr helle Haut und einen großen Mund, den sie niemals hält. Wie jetzt zum Beispiel, als sie Mutter die Ohren volllabert. Andrea ist zwar ziemlich hässlich, wirklich, aber sehr sexy. Ihr Haar ist so glatt und glänzend, dass man davon essen könnte. Ich stelle mir vor, wie ich ihr das locker-flockige Kartoffelpüree auf den Kopf stülpe und wie es dann in kleinen Kartoffel-Kacka-Häufchen über ihre große, weiche Brust rutscht.
    »Du siehst so nachdenklich aus«, unterbricht Mutter meinen Gedankengang. »Lass uns doch an dem teilhaben, was dich beschäftigt.«
    Dad wirft ihr einen Blick zu. »Muss das sein?«, fragt er.
    »Ich habe gerade Andreas …«
    Simon funkt mit brüderlicher Telepathie dazwischen. Er dockt bei mir an und er geleitet mich ans sichere Ufer.
    »Ich habe gerade Andreas Zähne angeguckt«, sage ich. »So schöne Zähne hätte ich auch gerne.«
    »Meine Zähne?« Andrea tippt sich an die Lippen.
    »Die sind klasse«, sage ich. (Die Trolle haben mich zwischen ihre riesengroßen Füße geklemmt.)
    Kurzes Schweigen, dann wird die Konversation fortgesetzt.
    Mein Essen kann sich genauso wenig benehmen wie ich. Erbsen springen über den Tisch, der Kartoffelbrei wird vom Fußboden angezogen und das Fleisch lässt sich nicht schneiden. Ich säble mit ausgebreiteten Ellbogen, das Messer kreischt übers Porzellan und ich ernte einen missbilligenden Blick meiner Mutter. Noch einmal mache ich mich über das zu lange gegarte Fleisch her, aber ich rutsche ab und ein Schwung Karotten schießt über den Tisch und schwimmt im Soßenboot.
    »Max«, faucht Mutter.
    Ich gehe erneut zum Angriff über. Über mich hinweg flattern Sätze von Aufträgen, Operationen und Auslandseinsätzen. Ich möchte mir Simon auf überhaupt gar keinen Fall in Afghanistan oder Irak oder an irgendeinem anderen gefährlichen Ort vorstellen müssen. Vor meinem inneren Auge sehe ich Simon als Achtjährigen, mit blonden, wuscheligen Haaren, in roten Shorts, wie er zwischen den oberen Ästen der Kamelie und dem offenen Fenster vom Schlafzimmer unserer Mutter feststeckt. Ich, der ich solche Höhen nicht erreichen konnte, stand sicher auf dem Boden und hatte solche Angst um meinen Bruder, dass ich mir in die Hosen gemacht habe. Damals ist Simon wieder glücklich heruntergeklettert und ich wurde wegen der eingenässten Hose zur Strafe auf mein Zimmer verbannt. Als jetzt von Ausbildung und Unterkünften die Rede ist, merke ich, wie die alte Angst sich wieder in meiner Brust breitmacht.
    Meine Hände zittern und mir ist heiß.
    »Alles in Ordnung, Max?«, fragt meine Mutter von weit weg.
    »Ja.« Ich schlucke. »Muss bloß aufs Scheißhaus.« Ich stehe schnell auf und stoße dabei mein Glas um, zumGlück ist es leer. Ich renne wie Aschenputtel aus dem Zimmer und schließe mich im Bad ein. Dreht sich der Raum um mich? Werde ich hier drinnen ausflippen? Mein Auge tut weh und jetzt, verdammt noch mal, fängt es auch noch an zu weinen. Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und es geht mir ein bisschen besser.
    Als ich mich wieder meiner Familie an die Brust werfe, plappert Andrea von ihrem Studium und von »dem daraus folgenden nächsten Schritt« und ich sehe, dass Mutter ganz Ohr ist.
    »Natürlich ziehen wir nach der Hochzeit in eine der Familienunterkünfte«, sagt Andrea.
    Ich lasse meine Gabel fallen, dass es klappert. Hochzeit? Was ist mir da entgangen? Ich blicke verzweifelt zu Simon rüber, sende ihm unser Alarmsignal, ein einfaches Zwinkern, immer und immer wieder, aber alle früheren Kanäle scheinen verschlossen zu sein, mein Bruder hat nur zärtliche Blicke für seine hakennasige, weichbrüstige Liebste.
    Jetzt bin ich ganz Ohr und ich kriege allmählich heraus, dass Simon tatsächlich im nächsten Jahr Andrea heiraten wird.
    »Davon hat mir noch keiner was gesagt«, platzt es aus mir raus. Ich muss Simon zugutehalten, dass ihm das wirklich peinlich ist.
    »Ich wollte es dir sagen«, sagt er. »Ich habe auf den richtigen Moment gewartet.«

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