Bullet Boys
Fernsehen. Da sieht man Orte, wo wirklich Leute leben, bombardierte Häuser, Ruinen, Heckenschützen, Soldaten, die ihre Positionen verteidigen. Und hier üben sie so was.« Ihn schauderte. Der Strangeways-Hof hatte sich so verändert.
Am Zaun hingen Schilder.
»MILITÄRISCHES SPERRGEBIET. ES WIRD SCHARF GESCHOSSEN. BETRETEN VERBOTEN. ZUWIDERHANDLUNGEN WERDEN BESTRAFT.«
Jemand hatte »MIT DEM TODE« eingefügt.
»Ich würde mich trotzdem gerne ein bisschen umgucken«, sagte Levi sehnsüchtig.
»Da gibt’s nichts zu sehen.« Alex seufzte. »Ist bloß ein trauriger, alter, kaputter Hof. Er hat meinen Großeltern gehört. Mein Dad wurde da geboren. Aber kleine Höfe wie dieser bringen nicht mehr genug Geld. Mein Großvater hat trotzdem weitergemacht, bis er pleite war. Seine Gläubiger haben alles an die Armee verkauft. Ist schon eine eigenartige Vorstellung, dass da mal Kinder gelebt haben.« Er zeigte auf das Haus. »Da oben, hinter dem Fenster, war das Zimmer von meinem Vater.«
Levi riss die Augen auf. »Komm, wir gucken uns das an. Hier ist doch niemand.«
»Auf keinen Fall«, sagte Alex. Er lehnte sich an den Zaun. Er träumte davon, dass die Armee das Gelände eines Tages aufgeben und verkaufen und er irgendwie genug Geld zusammenbekommen würde, um es zurückzukaufen. Nach der Vertragsunterzeichnung würde er sofort hierherkommen und in allen feuchten Kaminen Feuer machen, sodass es aus jedem Schornstein rauchen würde. Dann würde er die Wände und das Dach reparieren. Er würde die Metalljalousien von den Fenstern abschrauben und Glas einsetzen. Er würde jeden Zentimeter des Geländes abschreiten und den Boden mit einem Metalldetektor absuchen, um jedes bisschen Munition, Sprengstoff oder Militärmüll zu entfernen. Er würde den Garten umgraben und Rollrasen auslegen. Und dann würde er einziehen, vielleicht mit seiner Familie (ganz kurz flackerte vor seinen Augen das Bild von Sasha mit ihrem Kind auf). Er würde Schafe halten, Gemüse anpflanzen und schießen. Von hier aus könnte er sogar Delaneys Gut managen. Das war sein Traum.
»Macht dich das wütend?«, fragte Levi.
Alex lächelte. Er mochte Levis Direktheit. »Schon«, sagte er. »Ich hab hier mal in einer Hecke einen alten Stiefel gefunden. Den hab ich mit nach Hause genommen. Könnte von meinem Großvater sein. Ich möchte nicht, dass die Soldaten damit rumspielen.«
Aber Levi war schon weitergegangen, immer am Zaun entlang, und ließ dabei wie ein kleiner Junge einen Stock über das Gitter rattern. »Guck mal«, sagte er. Er hob eine Geschosshülse auf.
»Die ist leer«, sagte Alex. »Hier siehst du die Spuren vom Pulver.« Er fuhr mit dem Finger über den Rand der Metallhülse. »So was liegt hier überall rum. Von den Übungen.«
»Ich will noch mehr sehen«, sagte Levi.
Sie liefen jetzt zwischen den Bäumen hindurch, das Gras war hoch und dünn und die Nesseln stachen durch Alex’ Hosen hindurch.
»Was ist das?« Levi zeigte auf einen kleinen, zerfallenen Holzschuppen, direkt auf der anderen Seite des Zaunes, fast völlig versteckt von Brombeerbüschen und anderen Sträuchern. Zwischen dem Schuppen und den anderen Gebäuden des Hofes lagen zwei Weiden und ein kleines verwildertes Wäldchen. Das Schuppendach neigte sich an einer Seite fast bis zum Boden runter, die Pfosten standen reichlich schief.
»Der Schuppen ist hinter dem Zaun«, sagte Alex. »Also gehört er zum Sperrgebiet.«
»Aber der Schuppen wird doch gar nicht genutzt, das sieht man ja«, sagte Levi. »Komm, ich will bloß mal schnell reingucken.«
Bevor Alex ihn daran hindern konnte, war Levi am Zaun zurückgelaufen und zwängte sich durch das Loch. Alex zögerte.
»Wovor hast du denn Angst?«, fragte Levi von der anderen Seite. »Hier ist doch niemand.«
»Da gibt’s nichts zu sehen. Ist bloß ein alter Schuppen.«
Levi nickte nur und hoppelte über Grasbüschel und den unebenen Boden Richtung Schuppen. Levi war nicht mehr aufzuhalten. Alex blickte sich um. Es schien wirklich niemand in der Nähe zu sein. Grummelnd folgte er seinem Freund.
Als sie sich dem Schuppen näherten, kamen zwei Kaninchen herausgeflitzt.
Levi blickte erst ins Innere, dann zum Blechdach hoch. »Wenn es schon so lange gehalten hat, wird es auch noch die nächsten fünf Minuten halten«, sagte er und duckte sich unter dem schrägen Balken hindurch. Alex hätte den wackeligen alten Schuppen lieber überhaupt nicht betreten, aber Levi war so unbekümmert, dass Alex kein Spielverderber
Weitere Kostenlose Bücher