Bullet Catcher 1: Alex
lachte bitter auf. »Ich habe keine Scheißahnung, wie man an den Wachhunden vorbeikommt.«
Für Jazz fühlte es sich noch immer so an, als wenn in dem Puzzle die Hälfte der Teile fehlte. »Wenn Sie Kimball Parrish gestern Nacht nichts gesteckt haben, wie kam er dann überhaupt auf den Parkplatz? Und warum? Mir hatte er erzählt, er wäre auf dem Weg nach Cincinnati und würde von da aus nach New York reisen.«
Ollie schüttelte den Kopf. »Ich habe von hier angerufen; vielleicht werden die Telefone abgehört. In Cincinnati ist Parrish nie gewesen, er war in seinem Haus auf Sunset Key, einer kleinen Insel vor Key West. Parrish hat einen Pilotenschein, ist mit einem der Helis geflogen. Die sind alle mit einem Ortungssystem ausgestattet – heute Morgen befand sich der Hubschrauber auf der Insel.«
Dorthin könnte sie es heute noch schaffen. »Können Sie mir die genaue Adresse besorgen?«
»Schon möglich. Ich habe den Hauptschlüssel für die Management-Räume. Parrish hat ein großes Ölgemälde von dem Haus in seinem Büro. Ich wette, dort finden wir auch die Adresse.« Er stand auf und streckte ihr plötzlich in einer ungelenken Friedensgeste die Hand entgegen. »Das mit gestern Nacht tut mir ehrlich leid, Jazz. Ich war … ich war …« Er wurde rot. »Egal, Jessica wird es Ihnen sowieso erzählen.«
Jazz wartete schweigend auf eine Erklärung, sie wusste nicht, wie sie ihm die Scham nehmen konnte.
»Ich war betrunken. Manchmal besaufe ich mich, Jessica weiß das. Dann kann es sein, dass ich gemein und böse werde. Wie gestern Nacht. Oder ich werde …« Er suchte nach einem Wort, dann füllten sich seine Augen mit Tränen. »Sie wollte mir Hilfe beschaffen.«
»Ja, so ist sie«, sagte Jessica.
Zum ersten Mal kam sein Lächeln von Herzen. »Ich bin in sie verliebt.«
Der Arme. Sie nahm seine Hand. »Diese Wirkung hat sie nun mal auf Menschen.«
Seine Geschichte schien Hand und Fuß zu haben. Der Anruf war von dieser Nummer gekommen; vielleicht hatte Parrish wirklich die Telefone angezapft. Jessica hatte darauf bestanden, nichts Persönliches auf der Büroleitung zu besprechen. Parrish konnte das Gespräch gestern Nacht belauscht und sich den Helikopter geschnappt haben, um ein Rendezvous zu stören.
Das war eine Möglichkeit; Parrish war ebenfalls in Jessica verliebt.
Dann fiel ihr etwas anderes ein. Wenn Kimball Parrish ihr Gespräch abgehört hatte, hätte er gewusst, dass sie nicht Jessica war, doch er hatte »Jessica« gerufen.
Log Ollie etwa doch?
Ollie kam um den Tisch herum und wies mit dem Kopf zur Nachrichtenredaktion. »Kommen Sie. Wir holen uns die Adresse.«
Sie spürte die geliehene Neunmillimeter am Bein und folgte ihm nach oben in einen dunklen Empfangsbereich. In der Mitte des Raums hielt ein leerer Schreibtisch Wache, darum gruppierten sich ein paar Stühle und niedrige Tische. Die Türen zu den Büros waren geschlossen, die Jalousien heruntergelassen.
Sie sah noch einmal zurück zur Treppe. Würde Alex sie hier finden?
Er hatte gesagt, sie solle nicht mit Ollie fortgehen, aber inzwischen hatte sie herausbekommen, dass Ollie nur ein reumütiger Säufer war, der sich in Jessica verliebt hatte. Oder hatte er das alles nur vorgetäuscht?
Er fummelte am Schloss herum. Als er sich umwandte, um sie einzulassen, wirkte sein Gesicht auf einmal nicht mehr so zerknirscht und freundlich wie in Jessicas Büro. Aber das konnten auch die Schatten sein. »Mein Gott, Sie sehen ihr so ähnlich!«, murmelte er.
Beklommen blieb sie stehen. »Das sagen alle.«
»Hat man Sie nicht Ihr ganzes Leben mit Jessie verwechselt?«
»Nein, eigentlich nicht.« Jessie. Kein enger Freund nannte Jess so. »Wir sind sehr verschieden.«
Er nickte bedächtig, seine Augen glitten langsam über ihren Körper. »Auf jeden Fall tragen Sie unterschiedliche Kleidung.«
Wo war Alex?
Ohne ein weiteres Wort ging Ollie in das Büro und schaltete das Licht ein. »Das ist es«, sagte er. »Es macht nichts, wenn wir die Adresse nicht finden, die Insel ist nicht sehr groß. Es gibt nur eine kleine Zufahrtsstraße, und man kann das Haus mit einem Golfmobil erreichen.«
Sie blieb im Flur stehen, die feinen Härchen in ihrem Nacken hatten sich aufgestellt.
»Kommen Sie, Jazz!«, rief Ollie. »Ich kann das Bild nicht allein von der Wand nehmen.«
Sie zog die Glock heraus und steckte sie in die Hosentasche. Mit einem tiefen Atemzug ging sie durch die Tür.
Ollie stand vor einem Bild, das ein rosafarbenes Strandhaus zeigte.
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