Burakkuboru: Die kleine süsse Überraschung (German Edition)
Leben auch witzig sein kann, wenn
man unbeteiligt und zynisch genug ist: da wird ein Prinz ermordet, und sein Tod
löst eine Kette von Ereignissen aus, die unaufhaltsam zu einem brutalen,
langjährigen Krieg führen mit anschließender Demütigung des Verlierers, die ein
Paar Jahrzehnte später zu einem noch brutalerem Krieg führt, und mit einer Polarisation
der Erdgemeinschaft, die fast ein Jahrhundert lang andauert – ist das nicht zum
Todlachen? Vorausgesetzt natürlich man ist unbeteiligt und zynisch genug.
Andererseits wer zwingt mich dazu, beteiligt zu sein? Wer
sagt mir, dass ich mich nicht in einem Raum mit einem großen rosafarbenen
Fenster einschließen kann oder mich auf eine Wolke setzten, um von dort aus
Befehle zu erteilen und mir Berichte erstatten zu lassen? Es war doch allein
meine Entscheidung, mich an Ereignissen direkt zu beteiligen, mich in Abenteuer
zu stürzen, Leute zu ärgern, abgetrennte Köpfe zu begutachten. Also will ich
anscheinend doch das künstliche Ersatzleben realitätsnah und in vollen Zügen
erleben. Ich will mit der Simulation eines leicht verängstigten, gegen die eigene
Wut ankämpfenden, frechen Jungen diskutieren, mein synthetisches Schicksal
herausfordern, mich in Gefahr begeben, all das tun, was ich einst nicht tun
konnte, als ich mich zu sehr vor dem unwiderruflichen Tod fürchtete. Ich muss
mich nur daran erinnern, was ich vor langer Zeit bewusst als unerfüllbar
eingestuft und tief im Unterbewusstsein vergraben hatte: einen Fallschirmsprung
… nein, das ist zu banal … ein Mal nur im Raumanzug um die Erde kreisen –
>das< war unerfüllbar…
Und es muss nicht unbedingt die Erde sein – Chīsana
ist für das vorhaben gut genug.
Es ist entschieden! Ich packe Heruge an seinem Arm und
führe ihn zur Seite. Maikeru Rangu soll zu den anderen Jungs – fliegen lernen,
Toku Ānorudo soll … nun ja, soll er halt meine Flotte anführen – das
Schicksal herausfordern, und Heruge soll mich auf den Orbit schießen und mich
nach einer Stunde (oder wie lange auch immer ein Umkreisen dauert) wieder
abholen. Heruge wird nicht komisch – hat vollstes Verständnis, und also sind
wir so bald es geht auf dem kaiserlichen Shuttle, und ich ziehe mir einen
Raumanzug an. Der Autopilot des Shuttles wird angewiesen, eine optimale
Umlaufbahn anzusteuern, und bevor ich mich versehe, schubst mich Heruge in die
Druckschleuse und macht die Tür hinter mir zu.
Plötzlich bekomme ich Zweifel. Und es ist nicht Heruge,
der unerwartet doch komisch wird und so tut, als wäre er der Böse, der seinen
Boss aus dem Raumschiff werfen will, um die Herrschaft über Chīsana an
sich zu reißen – anscheinend kann er durchaus ein Witzbold sein, wenn er will.
Aber um ihn mache ich mir keine Sorgen. Es ist der Abgrund, der sich vor mir
auftut, der mein Blut gefrieren lässt, den meine Beine zum Anlass nehmen, mir
nicht zu gehorchen… Ich muss zugeben, ich habe durchaus Höhenangst – nicht so,
dass ich in Panik gerate, aber ich kann nur tief heruntergucken, wenn ich
sicher bin, dass ich nicht herunterfallen kann. Eigentlich ist es durchaus eine
gesunde Angst vor der Höhe… Was ich allerdings jetzt empfinde, ist keine
Höhenangst – es ist die Angst vor dem Absturz in eine bodenlose Tiefe, die ich
so nur aus meinen Träumen kenne, die mich stets dazu veranlasste aufzuwachen...
Jetzt habe ich noch die (künstliche) Gravitation, doch der nächste Schritt wäre
ein Schritt ins Nichts. Ich stelle mir vor, wie ich den Schritt wage, und mir
die letzte Stütze abhanden kommt. Dann hänge ich schutzlos und hilflos im
Vakuum ohne eine erkennbare Tendenz – eine Richtung. Ich bilde mir den Zustand
ein, in dem ich mich befinden würde: Keine Kraft will mich haben oder abstoßen,
beziehungsweise sie heben sich gegenseitig auf, ohne spürbar auf mich
einzuwirken. Ich hoffe, man kann sich an so einen Zustand gewöhnen, die
Erwartung daran ist fast unerträglich, doch ein Zurück gibt es nicht mehr.
Ich bitte Heruge, wenn es denn geht, die (künstliche)
Gravitation zumindest bei der Ausstiegslücke langsam auszuschalten, und im
nächsten Moment, fühle ich, als würde das Ganze Schiff anfangen, beschleunigt
abzustürzen. Dieses Gefühl ist mir nicht unbekannt – das kenne ich von den
Abwärtsfahrten in Hochgeschwindigkeitsaufzügen. Nur der Übergang in die
absolute Schwerelosigkeit verwirrt meine Sinne, denn nun ist mir, als würden
wir endgültig und widerstandslos in die
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