Burgfrieden
wärmetechnischen Gründen hatte man die Gebäude so ineinander verschachtelt, dass sich zwischen zwei nach außen hin sichtbaren Häuserfronten jeweils noch eine weitere, von außen unsichtbare Häuserreihe befand. Die Athesia-Buchhandlung musste sich demnach über drei Gebäude erstrecken und zwei Eingänge haben: einen in der Laubengasse, wo Jenny die Dozentin in den Laden hatte hineingehen sehen, und einen zweiten in der Silbergasse, wo Xenia unvermittelt wieder aufgetaucht war. Zumindest dieses Rätsel war gelöst.
Jenny war mit den Bücherstapeln fertig und sah sich noch einmal prüfend in dem Raum um. Nichts, worin oder worunter man etwas hätte verstecken können. Jetzt fehlte nur noch Mordreds Zimmer, das am Ende des Ganges lag. Auf dem Weg dorthin kam sie am Zimmer von Lenz vorbei. Da es, ebenso wie Arthurs und ihr eigenes, in stillschweigender Übereinkunft von der Durchsuchung ausgenommen war, hatte sie dafür keinen Schlüssel von Maria bekommen. Gerade wollte sie weitergehen, als sie bemerkte, dass die Türe nur angelehnt war. Sollte sie es wagen? Jenny haderte nur kurz mit sich, bevor ihre Neugierde siegte und sie in das Zimmer huschte. Kaum, dass sie den Raum betreten hatte, fragte sie sich allerdings, was sie hier eigentlich zu entdecken hoffte. Sie würde sich nur kurz umsehen und sich dann gleich wieder aus dem Staub machen.
Ihr Blick fiel zunächst auf das Bett. Es war gemacht, eine Jeans und ein Hemd lagen sorgfältig zusammengefaltet auf der Überdecke. Auch sonst machte das Zimmer einen recht aufgeräumten Eindruck. Jenny fragte sich gerade, ob dies Lenz’ ureigenem Naturell entsprach oder der ordnenden Hand der Haushälterin zu verdanken war, als sie sah, dass die Schublade des Nachtkästchens halb offen stand. Etwas lag darin, soviel konnte sie von ihrer Position aus erkennen. Im Näherkommen bemerkte sie, dass es sich um eine Fotografie handelte. Der Versuchung konnte sie nicht widerstehen. Ohne zu zögern nahm sie das Bild aus der Lade. Es zeigte Lenz eng umschlungen mit einer jungen blonden Frau, deren Augen vor Lebensfreude strahlten. Sie musste diejenige gewesen sein, die ihm das Bild geschenkt hatte. »In ewiger Liebe, Christa« stand darauf zu lesen.
Jenny ließ sich auf die Bettkante sinken. Lenz war also in festen Händen. Das hätte sie sich eigentlich denken können. Trotz seines lässigen, beinahe jungenhaften Auftretens musste er schon auf die 30 zugehen. In dem Alter waren andere längst verheiratet und hatten sogar schon Kinder. Jenny konnte kaum erwarten, dass es alle ihr gleichtaten und ewig Single blieben, was in Bezug auf sie selbst ohnehin nicht ganz stimmte. Nach dem kurzen Intermezzo einer wenig erfolgreichen Ehe hatte sie sich allerdings entschieden, fortan ihre Unabhängigkeit zu genießen und sich auf nicht mehr als hie und da ein kleines Abenteuer einzulassen.
Wie dem auch sein mochte, Lenz war ganz offensichtlich vergeben, vermutlich verlobt, wenn nicht gar verheiratet. Von einer Ehefrau war ihr zwar bisher nichts zu Ohren gekommen, aber was wusste sie schon von ihm. In dem einen Tag, den sie sich jetzt kannten, war kaum Gelegenheit gewesen, sich einander die jeweilige Lebensgeschichte zu erzählen. Arthur wiederum hatte sie verständlicherweise nur über den beruflichen, nicht aber den privaten Hintergrund seines Assistenten informiert.
Trotzdem, aus irgendeinem Grund fühlte sie sich plötzlich hintergangen, so als hätte Lenz ihr falsche Hoffnungen gemacht. Was er aber definitiv nicht getan hatte, das konnte sie ihm nun wirklich nicht vorwerfen. Er hatte sich ihr gegenüber einfach nur hilfsbereit gezeigt, mehr nicht. Und dass sie jetzt quasi als Team zusammenarbeiteten, war Arthurs Idee gewesen, nicht die des Assistenten. Außerdem war er viel zu jung für sie.
Entschlossen legte Jenny die Fotografie wieder zurück in die Lade und strich die Bettdecke glatt. Höchste Zeit, dass sie sich in Mordreds Zimmer umsah.
*
Vor der zur Talfer hin gelegenen Seite der Villa Wasserschloss saß Lenz Hofer auf einer Hollywoodschaukel. Das in einer Laube befindliche Sitzmöbel gewährte ihm einen guten Blick zur Gartentür und dem davor befindlichen Fußweg. Wenn jemand von dort kam, würde er ihn rechtzeitig genug sehen, um Jenny per Handy zu warnen. Durch die Brillengläser hindurch kämmte Lenz zum wiederholten Mal die Gegend ab. Niemand in Sicht. Auch von Arthur hatte er bisher nichts gehört. Mit dem hatte er vereinbart, dass der ihn umgehend kontaktieren
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