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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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näherte sie sich der Hausmauer und winkte Lenz herbei, der gerade im Begriff war, das Restaurant zu betreten. Kaum, dass er neben ihr stand, flüsterte sie ihm zu:
    »Weißt du, wer das ist?«
    »Nehm’ ich an, der Koch.« Lenz war wohl zu Scherzen aufgelegt, nicht aber Jenny. Hinter vorgehaltener Hand zischte sie ihn an: »Nein, der andere, der kleine Bullige.«
    Lenz betrachtete den Mann und schien in seinem Gedächtnis zu kramen. Nach einer schier endlosen Bedenkzeit antwortete er: »Glaub’ ich, ist das der Bauarbeiter von der Burg. Heißt Hoffnung, äh, Speranza mein’ ich.«
    Jennys Herz machte einen Satz. Was hatte der hier zu suchen? Zunächst galt es aber, Lenz zu etwas mehr Vorsicht anzuhalten. Er hatte den Namen in beinahe ungedämpfter Lautstärke kundgetan. Nachdem Jenny ihre Ermahnung ausgesprochen und diese durch einen senkrecht auf ihre Lippen gelegten Zeigefinger bekräftigt hatte, waren sie noch ein kleines Stückchen weiter zurückgewichen und standen nun mucksmäuschenstill auf ihrem Beobachtungsposten.
    Speranza war inzwischen auf den Koch zugegangen. Anstatt den anderen zu begrüßen, hatte dieser aber ungerührt zu Ende geraucht.
    Jetzt nahm er die Packung aus der Brusttasche seines mit diversen Soßenspritzern befleckten Hemdes und bot dem Bauarbeiter eine Zigarette an. Dieser langte zu und zündete sie an. Danach gab er dem Koch Feuer, der sich ebenfalls noch eine genommen hatte. Die beiden unterhielten sich. Jenny konnte allerdings nicht verstehen, worum es ging. Fragend sah sie zu Lenz hoch, aber der schüttelte den Kopf. Die Männer waren zu weit weg, um ihre Unterhaltung hören zu können.
    Dafür hatten sie sie gut im Blickfeld, ohne allzu große Gefahr zu laufen, selbst gesehen zu werden. Jenny kam die ganze Sache jedenfalls äußerst spanisch oder vielmehr kalabresisch vor, wenn sie die Physiognomie des Koches in Augenschein nahm. Der olivfarbene Teint und die dunklen, lockigen Haare ließen darauf schließen, dass er seine Wurzeln südlich von Rom hatte. Vermutlich aus Kalabrien, wo der Bauarbeiter herkam, wie Jenny sich erinnerte. Es würde sie nicht wundern, wenn die beiden aus demselben Dorf stammten. Gerade als sie ihre Überlegungen Lenz mitteilen wollte, kam Bewegung in die Szene. Speranza zertrat seine Zigarette mit dem Absatz seiner mit einer dicken Staubschicht bedeckten Schuhe und spuckte auf den Asphalt. Jetzt griff der Koch, der ebenfalls zu Ende geraucht hatte, noch einmal in seine Hemdtasche. Was er heraus beförderte, war ein dickes Bündel Geldscheine, das er nebst einem Stück Papier Speranza in die Hand drückte. Nachdem der den Packen in der rückwärtigen Hosentasche verstaut und diese sorgfältig zugeknöpft hatte, sah er auf den Zettel.
    »Va bene.« Jenny kam es fast so vor, als könne sie die bestätigende Antwort, die von einem Nicken begleitet wurde, von den Lippen des Mannes ablesen. Der ging jetzt wieder zu seinem Fahrzeug.
    »Wir müssen ihm hinterher.« Ohne nachzudenken, wie sie das bewerkstelligen sollten, hatte Jenny die Worte ausgesprochen. An Lenz’ skeptischer Miene sah sie allerdings, dass er Bedenken hatte. »Hat er ein Moped und wir bloß Fahrräder. Wird er uns abhängen.« Da musste sie ihrem Begleiter allerdings recht geben. Trotzdem, sie war sich sicher, dass der Mann etwas im Schilde führte. Wenn sie sich nicht sehr täuschte, dann hatte das etwas mit der Handschrift zu tun. Geld und eine Adresse, wenn sie den Zettel richtig deutete. Da war doch etwas im Busch.
    Jetzt ließ Speranza den Motor an. Wenn sie nicht rasch etwas unternahmen, war er über alle Berge. In dem Moment ergriff Lenz ihre Hand und zog sie in Richtung der Fahrräder.
    »Probieren wir es. Fährt er bergab, wir bleiben dran.« In Windeseile stiegen sie auf ihre Räder und folgten dem Moped. An der Ausfahrt gab Speranza ein Handzeichen. Er würde links abbiegen. Sie hatten eine Chance.
     
    *
     
    Der braun gebrannte Schalterbeamte an der Kasse der Rittner Seilbahn schüttelte den Kopf. So etwas hatte Tschonnie, wie ihn seine Freunde nannten, bis jetzt nur selten erlebt, eigentlich noch nie, wenn er’s recht bedachte. Seit die Seilbahn, mit einer Strecke von über 4.500 Metern eine der längsten der Welt, 2009 ihren Betrieb wieder aufgenommen hatte, versah er hier in der Talstation an der Rittner Straße seinen Dienst. Zigtausende Fahrgäste hatten seinen Schalter schon passiert. Auch unzählige Radler waren dabei gewesen. Ohne zu feilschen hatten sie die zwei Euro und

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