Burgfrieden
Station eher aussteigen und das letzte Stück zu Fuß gehen sollen. Dann könnten sie hier jetzt warten, bis sie schwarz würden.
Brutti delinquenti, lästiges Pack! Musste er sie eben auf andere Art loswerden. Es würde ihm schon etwas einfallen. Beinahe hätte Speranza laut aufgelacht, beherrschte sich aber gerade noch. Bloß nicht auffallen, das konnte er jetzt nicht gebrauchen. Er hatte hier oben noch etwas zu erledigen, da war es besser, wenn sich später keiner an ihn erinnern konnte.
*
Gegenüber des Hotels Oberrauch in Klobenstein trat Jenny ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Schon seit zehn Minuten stand sie hier, ohne dass das Zielobjekt ihrer Observierung wieder aufgetaucht wäre. Nachdem sie die Seilbahnfahrt endlich überstanden hatten, waren sie, ihre Räder neben sich her schiebend, Speranza in gebührendem Abstand gefolgt. Bald wurde klar, vielmehr wurde es Lenz klar, der sich hier oben bestens auszukennen schien, dass der Bauarbeiter zum Bahnhof ging.
»Fährt er jetzt mit dem Bahnl.« Lenz musste bemerkt haben, dass sie mit seiner Feststellung nichts anfangen konnte. Er hatte ihr erklärt, dass es sich dabei um die Rittner Bahn, ein nostalgisches, aber immer noch einsatzfähiges Relikt aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts handelte, das die Ortschaften am Hochplateau verkehrstechnisch miteinander verband.
Bei dieser Eröffnung war Jenny gleich wieder der Mut gesunken. Da hatte sie diese schwindelerregende Seilbahnfahrt durchgestanden und das alles für nichts und wieder nichts. Speranza hatte sie in der Gondel mit Sicherheit erkannt. Wenn sie nun – ob mit oder ohne Fahrräder – im Triebwagen der Rittner Bahn auftauchten, dann würde er das wohl nicht mehr als Zufall durchgehen lassen.
»Dann geht er uns jetzt endgültig durch die Lappen.« Sie hatte mehr mit sich selbst geredet, als sie Lenz erwidern hörte:
»Muss nicht sein. Fährt das Bahnl höchstens 30 Stundenkilometer und bleibt ein paar Mal stehen. Können wir es schaffen, wenn wir die Straße nehmen.«
»Und die führt direkt an der Bahntrasse entlang?« Jenny wusste nicht, ob sie das für eine gute Idee halten sollte. Immerhin könnte Speranza sie dann jederzeit durch das Waggonfenster entdecken. Das war wohl nicht das, was man als diskrete Ermittlung bezeichnen konnte.
»Macht die Straße einen Bogen und trifft erst bei der Endstation wieder auf die Bahn. Wenn er in Klobenstein aussteigt, haben wir Glück. Wenn nicht …« Lenz zuckte mit den Schultern.
Wenn sie ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, dann wäre ihr jetzt alles andere lieber gewesen als eine weitere Verfolgungsjagd auf dem Rad. Die Terrassen der Restaurants und Gasthäuser, an denen hier kein Mangel herrschte, sahen verlockend aus. Sie hatte seit dem Frühstück außer der Lemonsoda nichts mehr zu sich genommen, und die Aussicht auf Speis’ und Trank schien ihr daher sehr verlockend. Lenz musste ihren sehnsüchtigen Blick gesehen und richtig gedeutet haben.
»Magst du lieber in ein Gasthaus gehen?« hatte er sie gefragt, und zu gerne hätte sie bejaht. Aber nachdem sie schon in der Seilbahn Höhenangst gezeigt hatte, wollte sie jetzt nicht noch eine Schwäche eingestehen. Außerdem hätte sie trotz allem zu gern gewusst, was Speranza vorhatte. Nein, sie durften ihn jetzt nicht entwischen lassen.
»Du fährst voraus.« Damit war alles gesagt, und schon hatte sie sich auf ihr Rad gesetzt und war Lenz gefolgt, der wieder kräftig in die Pedale trat. Eine Kondition hatte der, das musste man ihm lassen. Es gefiel ihr, wenn ein Mann sportlich war. Da hatte sie zumindest gute Chancen, dass sie gemeinsam etwas unternehmen konnten. Glücklicherweise verlief die Strecke hier oben im Großen und Ganzen eben, so dass es ihnen gelungen war, die Endstation so rasch zu erreichen, dass sie noch genügend Zeit hatten, ihre Räder und sich selbst zu verbergen, bevor der Zug einfuhr.
Dann hatten sich die Ereignisse überschlagen. Sie waren Speranza, der sich – laut Lenz – von dem etwas außerhalb gelegenen Bahnhof in Richtung Ortszentrum bewegte, so unauffällig wie möglich nachgeschlichen. Plötzlich war ihnen aus ihrer, wie sie hofften sicheren Entfernung eine Dreiergruppe aufgefallen. Zwei Männer und eine Frau marschierten stramm auf sie zu. Die Studenten. Die sollten doch weit weg auf Schloss Tirol sein. Was war da wieder schiefgelaufen?
Im nächsten Moment hatte Lenz Jenny hinter eine Hausecke gezogen, wo sie sich, so gut es ging, verbargen. Die
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