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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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zahllosen Kuppen angelangt sind, schwingen sie sich wieder in den Sattel und stürzen sich in halsbrecherischem Tempo zu Tal.
    Heute, an einem heißen Julitag, an dem die Temperatur unerbittlich auf die 30 Grad kletterte, konnte Jenny Sommer die oben geschilderten Beobachtungen höchstpersönlich machen und die damit verbundenen Erfahrungen am eigenen Leib verspüren. Ihrer Miene war jedoch anzusehen, dass sie diese doppelte Chance kaum als Gnade empfand.
    »Sch… Radl.« Schon mehrfach hatte sie diesen Fluch quasi im inneren Monolog von sich gegebenen. Nun befand sie sich allerdings kurz davor, auch Lenz Hofer an ihrer Sicht der Dinge teilhaben zu lassen. Der trug schließlich die Schuld an allem. Hatte sie ihm doch am Vortag eingeschärft, ihr »ein gescheites Mountainbike und nur ja kein Damenfahrrad« zu besorgen. Der hatte sie, wie so oft in den letzten Tagen, mit einer Mischung aus Belustigung und Besorgnis angesehen und war dann mit diesem Citybike aufgekreuzt, mit dem sie sich jetzt abmühte.
     
    Vom Talferufer waren sie über die Rosministraße und die Spitalgasse zurück zum Dominikanerplatz geradelt. Von dort ging es über die engen Gässchen der Altstadt, die zwar für den motorisierten Verkehr gesperrt, für Fahrräder aber weitgehend geöffnet waren, in die Piave- und weiter in die Brennerstraße. Schon auf der gesamten Route hatte Jenny eine Beobachtung gemacht, die ihr am Morgen noch entgangen war: Sie war die einzige Radlerin weit und breit, die entsprechend ausgestattet war und Radlerhose und -schuhe, Rucksack und Helm trug.
    Kein Wunder, dass Lenz heute Morgen so komisch dreingeschaut hatte. Er war aufgetaucht, kaum, dass die anderen abgefahren waren, und hatte sich insgeheim über ihr Outfit lustig gemacht, das war ihr jetzt sonnenklar. Dabei wäre es in Wien undenkbar gewesen, sich anders als in dieser Ausrüstung ins Verkehrsgewühl zu stürzen. Alles andere wäre lebensgefährlich gewesen.
    Hier in Bozen herrschten allerdings andere Gepflogenheiten. Lediglich einige versprengte Touristen, die aussahen, als wären sie von den Dreitausendern schnurstracks hinunter in die Stadt geradelt, sahen ähnlich aus wie Jenny. Alle anderen, darunter auch Lenz, düsten im Alltagsgewand durch die Gegend.
    Sei’s drum, wenn die Bozner gerne ihr Schicksal herausfordern, ist das ihre Sache, dachte Jenny. Sie würde es jedenfalls nicht tun, wozu sonst hatte sie auf all ihren Reisen die entsprechende Ausstattung dabei. Seit sie allerdings in die Rentschner Straße, die zum Ortsteil St. Magdalena führte, eingebogen waren, sah sich Jenny mit einer weiteren Unwegsamkeit konfrontiert, die ihr wesentlich mehr zu schaffen machte als die erste: Die Straße führte anfangs noch verhalten, schließlich aber immer steter bergauf. Jenny hatte von ihren sechs Gängen schon auf den zweiten heruntergeschaltet, was bedeutete, dass sie über fast keinen Spielraum mehr verfügte. Und das letzte steile Teilstück zur Kirche, auf das Lenz sie aufmerksam gemacht hatte, war noch längst nicht in Sicht.
    Jenny fluchte wieder. Zu Hause hatte sie ein tolles Sportgerät mit 27 Gängen. Mit dem fuhr sie locker den Kahlenberg, den Hausberg oder vielmehr -hügel der Wiener, rauf und runter. Immerhin galt es dort, an die 400 Höhenmeter zu bewältigen. Mehr waren es hier mit Sicherheit auch nicht. Gut, wenn sie auf den Ritten hinauf geradelt wären, das hätte sie sich vielleicht noch einmal überlegt. Aber die Strecke, die jetzt vor ihr lag, würde sie normalerweise mit links schaffen – vorausgesetzt, sie hätte das richtige Rad und nicht dieses Citybike, das sich ihrer Meinung nach lediglich für eine Shoppingtour in der Innenstadt und nichts anderes eignete.
    Vor ihr signalisierte Lenz mit einem Handzeichen, dass sie nun nach links abbiegen würden. Aha, jetzt ging es also erst richtig los. Jenny trat noch einmal kräftig in die Pedale, um mit genügend Schwung in den Steilhang zu gelangen, der sich vor ihr erhob. Lenz war schon um die Kurve gesaust. Jetzt tat Jenny es ihm gleich, ungeachtet der Tatsache, dass ihr auf der Geraden ein Wagen entgegenkam. Haarscharf gelang es ihr, in die Untermagdalenastraße einzubiegen, ohne ein gröberes Verkehrschaos zu verursachen.
    Die Schubkraft, mit der sie die ersten Höhenmeter überwand, hielt allerdings nicht lange vor. Auch das Zurückschalten auf den ersten Gang brachte nicht den ersehnten Auftrieb. Zentimeter um Zentimeter quälte sie sich auf dem von Weinstöcken gesäumten Weg nach

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