Buschfeuer: Australien-Thriller (German Edition)
da wartete niemand, den es kümmerte, ob sie zu Abend aß oder nicht.
Gil lief die Hauptstraße entlang, den Blick starr nach vorn gerichtet, um Augenkontakt mit den wenigen Passanten zu vermeiden, und alles, was er vor seinem inneren Auge sah, war diese bezaubernde, verschlafene Frau mit zerzaustem Haar, schweren Lidern und einem Leinen-Morgenmantel, der nicht einmal ansatzweise ihre Kurven zu verhüllen vermochte. Stärke und Verletzlichkeit und Hingabe und Aufrichtigkeit, vereint in einem Körper, von dem er in den wenigen Minuten des Schlafs zwischen ihren stündlichen Kontrollbesuchen träumte.
Mist. Er riss sich aus der Erinnerung an diese Träume. Das war doch reinste geistige Energieverschwendung. Eine Stunde noch, und er wäre ein für alle Mal raus aus Dungirri. Und dann musste er es mit Russo aufnehmen, und er hatte nach wie vor keinen blassen Schimmer, wie das gehen sollte. Anders als gegen Vince hatte er gegen ihn nichts in der Hand. Nicht auszuschließen, dass er sich auf dem Grund des Hafens von Sydney wiederfände, um den Seetang zu bewundern.
Umso wichtiger war es, zuvor mit Jeanie ins Reine zu kommen. Und wenn er Dungirri so bei Tageslicht sah, konnte er sich gut vorstellen, dass Jeanie durchaus brauchen konnte, was er ihr geben wollte. Seit er von hier fortgegangen war, hatte der wirtschaftliche Niedergang sich bis ins Herz des Städtchens gefressen, und es gab kaum mehr eine Handvoll Geschäfte. Zwischen Ward’s Rural Supplies und dem Hotel an der Ecke reihten sich auf der anderen Straßenseite leere Schaufensterhöhlen aneinander, während auf seiner Seite anscheinend nur der kleine Gemischtwarenladen der Pappas überlebt hatte; selbst das ehemalige Bezirksbüro und das Depot daneben waren verrammelt und mit Vorhängeschlössern gesichert. Dungirri war nur noch eine vertrocknete und verschrumpelte, tote Hülle, und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Geschäft hier florieren sollte, nicht einmal wenn es so essentiell war wie das von Jeanie.
Er kam zu seinem Auto, warf seine Sachen auf die Rückbank und ging über die Straße zum Truck-Stopp-Café, während er gegen die Morgenkühle seine Jacke fester zuzog. Die Raststätte hatte geöffnet, es waren aber keine Frühstücksgäste da.
» Gil! « Er hatte den Raum kaum betreten, da breitete sich ein gewaltiges Willkommenslächeln über Jeanies Gesicht, und er wusste nicht, was ihn mehr verblüffte– das seltene Erlebnis, aufrichtig willkommen zu sein, oder die bittere Erkenntnis, wie sehr sie gealtert war. Das einstmals graue Haar war schlohweiß, die Hände von Arthritis entstellt, und sie wirkte kleiner, zierlicher, zerbrechlicher neben ihm.
Doch in ihren Augen brannte das alte Feuer, und die Hände, die sie um seine schloss, waren warm und unerwartet kräftig, und sie schleifte ihn an einen Tisch und drückte ihn nieder.
» Ich freue mich so, dich zu sehen, Gil, allerdings nicht diese blauen Flecken. Ryan war eben da. Er hat mir erzählt, dass du zurück bist und gestern Abend etwas Ärger hattest. Ist alles in Ordnung bei dir? «
» Mir geht es gut, Jeanie. « Es war jedoch nicht zu leugnen, dass er sich hier auf gefährlichem, unbekanntem Terrain bewegte, und so biss er die Zähne zusammen und kam sofort auf den Grund seines Besuchs zu sprechen. » Ich bin hier, um zurückzuzahlen, was ich dir schulde. «
» Was du mir schuldest? « Das verdatterte Stirnrunzeln schien absolut authentisch. » Du schuldest mir gar nichts, Gil. «
» Doch, das tue ich. « Er holte bedächtig Luft, fest entschlossen, ihr zurückzugeben, was sie gar nicht als Schuld betrachtete. » Du hast den Anwalt bezahlt, der mich in der Bewährungsanhörung vertreten und nachgewiesen hat, dass der Blutalkoholtest gefälscht war, und der so die Aufhebung des Urteils erwirkt hat. Bis vor einem guten Monat hatte ich keinen Schimmer, dass du das warst– ich dachte, es wäre die staatliche Rechtsbeihilfe gewesen. Aber dann kam eines schönen Abends der Anwalt in den Pub und erkannte mich wieder. Und wir kamen ins Reden. «
Jeanie hatte die Finger auf der Resopal-Tischplatte verschränkt. » Du brauchtest jemanden, der deine Rechte ordentlich vertritt, Gil, und der Anwalt, den die staatliche Rechtsbeihilfe zu deiner Verhandlung abgestellt hat, kam frisch von der Uni und hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Es hat mich um keinen Cent je gereut. «
» Du hattest es für die Reise nach Italien gespart. Du wolltest nach den Angehörigen deines
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