Butenschön
zwar seine beste. Anfang der Siebziger war das, er hatte nicht mehr weit bis zum Emirat. Emeritierung heißt das, ich weiß, aber Emirat passt besser bei diesem Pascha.« Sie winkte der Katze durch die Glasscheibe zu. »Ich war wirklich die beste, das hat er mir mehrfach versichert. Nur stromlinienförmig war ich nicht, und deshalb knallte es. Bumm! So eine Explosion hatte er in seinem ganzen Forscherleben noch nicht erlebt. Na, das stimmt vielleicht nicht, Butenschöns Weg ist von einigen Frauenleichen gesäumt.«
Ich hob die Brauen. »Sie meinen, er hatte was mit seinen Mitarbeiterinnen?«
»Ach, woher denn! Albert Butenschön doch nicht. Der interessierte sich nur für seine Forschungen. Gut, ich weiß nicht, wie es damals in den Dreißigern und Vierzigern zuging, als sich lauter blonde Assistentinnen um ihn scharten«, sie rollte mit den Augen, »um ihn , den Jungstar der Chemie, den Nobelpreisträger, der auch noch Parteimitglied war … Mir ist jedenfalls nie etwas Konkretes zu Ohren gekommen. Nein, wenn da was mit Frauen lief, dann nur auf wissenschaftlicher Ebene. Als Forscher war Butenschön ein lupenreiner Patriarch. Ein Patriarch wie von Alice Schwarzer erdacht. Jedes seiner Institute hat er identisch aufgebaut: an der Spitze er selbst, darunter seine fähigsten Leute, allesamt männlich, und ganz unten wir Frauen, schön nach Qualifikation gestaffelt. Bei der Anordnung dieser Pyramide kannte er nur zwei Prinzipien: das Leistungsprinzip und das Geschlechterprinzip.«
»Und wenn diese Prinzipien in Widerspruch zueinander gerieten, so wie bei Ihnen?«
»Gab es Knatsch. Wollen Sie eigentlich etwas trinken, Herr Koller? Zuhören macht durstig, und Sie haben noch einiges vor sich.« Ich hatte kaum Zeit, den Kopf zu schütteln, da fuhr sie schon fort: »Also, es gab Knatsch. Mit mir genauso wie mit allen Wissenschaftlerinnen, die sich nicht unterordnen wollten. Da gab es zum Beispiel eine Frau namens Else Soundso – den Nachnamen habe ich vergessen –, die schrieb ihm noch lange nach dem Krieg bittere Briefe. Butenschön hatte sie wegen ihrer besonderen Fähigkeiten als Präparatorin angefordert. Wenn es aber um eine Leitungsstelle ging und um bessere Bezahlung, wurden immer ihre männlichen Kollegen bevorzugt. Auch den Umzug des Instituts ins sichere Tübingen kurz vor Kriegsende machte sie nicht mit. In Berlin wurde sie dann von Rotarmisten vergewaltigt.«
»Und Sie?«
»Im Prinzip dieselbe Chose, nur ohne Krieg und all den Schlamassel. Butenschön war durch meine Leistungen im Studium auf mich aufmerksam geworden. Ich hatte meine Prüfungen noch nicht abgelegt, da bot er mir schon eine Doktorandenstelle an. Molekularbiologie, mein Traumfach! Ich natürlich nix wie unterschrieben und schwebte im siebten Forscherhimmel. Aber dann schusterte mir der Kerl lauter niedere Aufgaben zu, für die eigentlich HiWis und Studenten zuständig waren. Verstehen Sie, ich sollte Doktoranden zuarbeiten, die kein Deut mehr Ahnung hatten als ich. Da fing es an mit dem Ärger. Bald galt ich im ganzen Institut als Nörgeltussi vom Dienst. Ich wollte auch nicht akzeptieren, dass Butenschöns Name auf jeder Veröffentlichung irgendeines seiner Mitarbeiter stand, selbst wenn er höchstens das Inhaltsverzeichnis abgenickt hatte. Das war nämlich seine Masche, schon in jungen Jahren: Kein Text verlässt das Institut ohne meine Autorschaft.«
»Sie haben sich geweigert?«
Dörte Malewski seufzte tief. »Versucht habe ich es. Aber kämpfen Sie mal gegen ein lebendes Monument an! Irgendwann habe auch ich gekuscht. Und weitergewurstelt. Erst als mir aufging, dass Butenschöns Forschungsansätze hoffnungslos veraltet waren, zog ich die Konsequenzen. Das war im Prinzip das Ergebnis seiner totalen Ich-Fixierung – und seines Erfolgs. In seinem Bereich, der Biochemie, duldete er nach dem Krieg keinen neben sich. Zumindest niemanden, der andere Wege beschritt. In den USA verfolgten sie neue, vielversprechende Ansätze, in Japan, sogar hier in Europa – Butenschön wollte nichts davon wissen. Er brachte alle in seinem Fach auf Linie; den Einfluss, die Reputation und die Geldmittel dazu hatte er ja. Sobald mir das klar wurde, schmiss ich hin.«
»Wieso das? Sie hätten doch in die USA wechseln können.«
»Theoretisch ja, praktisch nein. Meinem Vater ging es damals schlecht, ich musste mich um ihn kümmern. Dann hatte ich einen Freund und keine Lust auf eine Fernbeziehung. Also bewarb ich mich bei anderen
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