Butenschön
sich unter einer älteren Dame mit akademischer Vergangenheit vorstellte. Einen kleinen Vorgeschmack hatte ich ja schon am Telefon bekommen. Aber als sich die Tür des Häuschens in der Pleikartsförster Straße öffnete, glaubte ich mich in der Adresse geirrt zu haben. Vor mir stand eine Person, die so grell aus der Dunkelheit der Diele hervorstach, dass es in den Augen schmerzte. Karminrotes Kurzhaar, um den Hals einen giftgrünen Schal, dazu ein graues, knielanges Wollkleid. Rotbestrumpft auch die Beine, die in karierten Puschelschlappen steckten. An großen Ohrläppchen baumelten noch größere Gehänge, es gab Halsketten und Ringe und Armreife und eine raumgreifende Brosche. Vor allem aber gab es ein weit aufgerissenes braunes Augenpaar, das einen packte und nicht mehr losließ.
»Frau … Malewski?«, fragte ich und war sicher, ausgelacht zu werden.
»Herr … Koller?«, fragte sie zurück und starrte auf meine Schläfe.
Gut, damit hatten wir beide unser Überraschungssoll erst einmal ausgekostet. Sie ließ mich ein, geleitete mich durch ihre nicht eben ordentliche Diele und eine noch chaotischere Küche in eine Art Wintergarten: eine vollverglaste Terrasse, die auf ein Fleckchen Grün blickte. Auch in dem Hinterhofgärtchen herrschte Chaos, allerdings eines mit System. Hier wuchs alles Mögliche durcheinander, Kräuter, Sträucher, Bäumchen, ein paar Blumen – nur Unkraut nicht. Ich erkannte Rosmarin und Salbei, Erdbeerpflänzchen und einen Johannisbeerstrauch mit einem Restbestand an kleinen Blättern. Dazwischen allerlei Gemüse. Im Sommer gehörte die Malewski sicher zu den seltenen Gästen auf dem Wochenmarkt.
»Von welcher Zeitung sind Sie noch mal?«, fragte sie, während sie mir einen Gartenstuhl mit Kissen zurechtrückte.
»Von gar keiner. Ich bin privater Ermittler. Der Mann von Evelyn Deininger hat mich engagiert.«
»Ach so.« Journalist oder Ermittler, das schien sie nicht weiter zu bekümmern. Sie nahm neben mir Platz, kratzte sich mit langem Fingernagel am Mundwinkel und musterte mich. Wie im Nacktscanner auf dem Flughafen, so kam ich mir vor. Diese Augen!
Ich erzählte ihr von dem Brandanschlag auf Evelyns Büro, von Deiningers Verdacht und meinem vergeblichen Versuch, mit Prof. Butenschön zu sprechen. Die Sache mit Koschak erwähnte ich nicht, weder seinen Kontakt zu dem Russen noch meinen Besuch in Goldstein. Dörte Malewski lauschte meinem Bericht auf ihre ganz spezielle Weise: Sie ließ ihre Augen umherwandern, knibbelte sich am Ohr, schlug die Beine übereinander und wieder zurück, schmatzte mit den Lippen, rückte ihren Schal zurecht. Nicht dass sie unaufmerksam gewesen wäre. Bloß mit dem Stillsitzen hatte sie es nicht.
Als ich fertig war, nickte sie und fragte: »Welches Sternzeichen sind Sie eigentlich?«
»Sternzeichen? Keine Ahnung.«
»Stier vielleicht? Wann haben Sie Geburtstag?«
»Anfang März.«
»Ah, Fische. Interessant.« Wieder dieser Blick aus ihren klaren runden Augen.
»Evelyn Deininger sagte mir, dass Sie mir einiges über Professor Butenschön erzählen könnten. Wie er als Chef und Wissenschaftler so war.«
»Ja«, lachte sie trocken. »Das kann ich! Aber nur, wenn Sie ein bisschen Zeit mitgebracht haben. Ich rede nun mal gern, da müssen Sie mich irgendwann stoppen oder mir den Mund zuhalten. Oder einfach gehen, kein Problem. Ich werde es Ihnen nicht übel nehmen.«
Ich grinste. Die Frau begann mir zu gefallen. Dann verging mir das Grinsen allerdings, denn Dörte Malewski stand auf, um mit aller Kraft gegen eine in der Ecke stehende Palme zu niesen. Weder hielt sie die Hand vor, noch machte sie sonst Anstalten, den Niesreiz zu unterdrücken. Einige Palmenblätter gerieten ins Trudeln, und an der gläsernen Außenwand vermeinte ich ein Meer frischer Tröpfchen zu erkennen.
Inbrünstig die Nase hochziehend, kehrte Malewski an ihren Platz zurück. »Der gute Albert Butenschön«, sinnierte sie. »Von dem komme ich nicht mehr los. Wahrscheinlich überlebt er mich noch, der Schuft! Ich hätte aus Heidelberg wegziehen sollen, schon vor 40 Jahren.«
»Wieso sagen Sie Schuft?«
»Wieso nicht? Viele Männer sind Schufte, wenn nicht alle. Frauen auch. Nur Tiere nicht.« Sie zeigte auf eine Katze, die durch ihren Garten strich. »Die nicht. Gottes Schöpfung hat auch ihre schönen Seiten. Sie wissen über mein Verhältnis zu Butenschön Bescheid?«
»Nein. Frau Deininger machte nur Andeutungen, dass Sie mal seine Schülerin waren.«
»Und
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