Butenschön
hinüber. Eine ganze Weile herrschte Stille, von den Verkehrsgeräuschen Bergheims einmal abgesehen. Ruhig lag der Neckar unter mir. Endlich erblickte ich eine dunkle Gestalt mit Koffer, die langsam den Südpfeiler erklomm. Wie nicht anders zu erwarten, schaute sich Koschak oben gründlich um, bevor er einen Fuß auf den Steg setzte. Vom nördlichen Ufer her näherten sich zwei Radler mit müde flackerndem Vorderlicht. Wetten, dass sie nicht zur Mafia gehörten? Mafiosi hätten erstens ihre Räder geschoben und zweitens intakte Dynamos verwendet, um bloß nicht aufzufallen. Dabei fallen in Heidelberg nur Radler mit Funzellicht nicht auf. Aber erzähl das mal einem Mafioso!
Koschak, obwohl Frankfurter, schien ähnlich zu denken. Zügig schritt er voran und war bald in der Mitte des Stegs angelangt. Unter ihm ergossen sich die Fluten des Neckars über eine Staustufe in das alte Bett; wo bei Pegelhochstand die entfesselte Kraft des Flusses lärmte, ließ sich heute nur ein sanftes Rauschen hören. Am gegenüberliegenden Ufer wurde ein Teil des Neckars als Kanal weitergeführt, bis die Schleuse am Schwabenheimer Hof die Höhendifferenz wieder ausglich.
Ich nahm das Fernglas zur Hand und sah, dass Koschak stehen geblieben war. Die beiden Radfahrer hatten das südliche Ende des Stegs erreicht und stiegen ab, um ihre Mühlen die Treppe hinunterzutragen. Der Journalist schaute auf die Uhr, wandte den Kopf, wartete. Dann ging er ein paar Schritte hin und her. Ich fuhr mit dem Feldstecher den Wehrsteg ab. Schon wieder kamen zwei Personen von Norden auf ihn zu. Zwei Spaziergängerinnen, die sich lebhaft unterhielten. Sie passierten ihn, quasselten weiter, waren drüben. Bei jedem Tritt geriet die leichte Stahlkonstruktion des Stegs ins Zittern.
Dann geschah eine Zeitlang nichts. Aus dem Bürogebäude in meinem Rücken drang kein Laut. Der Steg lag verlassen da. Endlich setzte Koschak den Koffer ab. Am Nordufer sah man immer wieder weiße und rote Lichter aufleuchten: Radfahrer auf dem Leinpfad. Dahinter glotzten die Schwesternwohnheime des Neuenheimer Felds vieläugig in die Nacht.
Ich fuhr zusammen, als ich hinter mir ein Geräusch vernahm. Ein älterer Mann schlurfte den Pfad entlang, bedachte meinen Feldstecher mit misstrauischen Blicken und ging weiter. Wenn er mich nun für einen Spanner hielt? Der Kerl musste dringend meine nächste Lesung besuchen, damit er erfuhr, womit ich meine Tage so zubrachte.
Okay, zurück zum Wehrsteg. Immer noch Funkstille. Koschak stand einsam über der schwarzen Wasserfläche. Keine Mafia, kein Spaziergänger, nichts. So allmählich wurde mir kühl. Ich fragte mich, wie sich Fatty jetzt fühlte. Auf der Vangerowstraße heulte ein Motor auf.
Der nächste, der den Steg betrat, war der Alte von eben. In aller Ruhe schlenderte er hinüber, und wahrscheinlich musterte er den wartenden Koschak genauso argwöhnisch wie mich. Erst das Fernglas, jetzt der Koffer – hoffentlich war er nicht mit übermäßiger Fantasie gesegnet. Ohne erkennbare Reaktion schritt er weiter.
22.10 Uhr. Ein Radfahrer kam von der Straße her auf mich zu. Ohne Licht, dafür mit hohem Tempo. Beinahe hätte er mir eine mitgegeben, als es ihn aus der Kurve trug. Unsere Stadtplaner wussten genau, warum sie den Pfad zum Neckar hin durch ein Geländer abgesichert hatten. Ein paar Meter weiter fuhr der Kerl fast einen Jogger über den Haufen. Der wenigstens war mit Beleuchtung ausgestattet: Er trug eine Stirnlampe und ein blinkendes Rotlicht am Oberarm.
Koschak hatte sich nicht gerührt. Er lehnte am Geländer, beide Hände in den Taschen. Als der Jogger kurz darauf den Wehrsteg betrat, schnellte sein Kopf herum. Mit schwerfälligen Tritten, blinkend und leuchtend kam die Sportskanone auf ihn zu.
Gleichzeitig wurde drüben im Kanal die Spitze eines Schiffes sichtbar. Sein sanftes Motorengeräusch hatte sich schon seit einiger Zeit unmerklich in meine Wahrnehmung eingegraben. Es entpuppte sich als langer, flach im Wasser liegender Frachter, der langsam flussaufwärts glitt.
Koschak hatte kein Auge für ihn. Er folgte dem Jogger mit seinen Blicken, bis der das Nordufer erreicht hatte und über den Leinpfad Richtung Neuenheim lief. Keine Ahnung, was die Leute so spät am Abend noch aus dem Haus trieb. Hatten die nichts gegessen? Oder zu viel?
Wieder ein einzelner Radfahrer. Nein, eine Fahrerin. Mitten auf dem Steg bekam sie einen Anruf, stieg ab und schob ihr Rad an Koschak vorbei. Ein paar Meter weiter stieg sie
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