Butenschön
wieder auf. Zu Silbenfetzen verhackstückt, drang ihr Gespräch über den Fluss. Ja, besser … morgen Kino … im Bett … Die einen rannten, die anderen quatschten. Und noch andere warteten auf den Einmarsch des Russen.
22.20 Uhr. Verdammt, der ließ sich aber auch Zeit! Der Frachter war nicht mehr zu sehen. Fuhr jetzt an der Altstadt vorbei, Richtung Alte Brücke. Ich begann, auf der Stelle zu tänzeln. Für die Jahreszeit war es immer noch erstaunlich mild, aber wenn man sich so gar nicht bewegte, wurde es auf Dauer ungemütlich. Na, lieber keine Aufmerksamkeit erregen. Ich hielt den Feldstecher vor die Augen und erwischte Koschak, wie er zu mir herüberblickte und mehrfach die Schultern hob.
Dann hörte ich jemand die Treppe zum Steg hocheilen. Ein Pärchen oder doch zumindest zwei Personen, die sich gegenseitig den Arm um die Schulter legten. Beide waren groß und ziemlich breitschultrig. Ich zögerte. Es gab keinen konkreten Anlass, Koschak zu warnen. Da war bloß ein Pärchen: vielleicht eine Schwimmerin mit Partner oder zwei Herren, die einander in Korpulenz zugetan waren. Und wenn nicht? Dann hatte Koschak ein Problem.
Ich hielt die Luft an, als ich die beiden über den Steg gehen sah. Der Stahlboden vibrierte stärker als sonst. Koschak stand stocksteif an seinem Platz, seine Nervosität war sogar durch den Feldstecher hindurch spürbar. Jetzt hatten sie ihn erreicht … der eine verlangsamte kurz … aber nur, weil drei nicht nebeneinander auf den Wehrsteg passten. Sie schoben sich vorbei. Ich atmete aus.
Aber wo, herrje, blieb der Russe? Koschak würde die Vereinbarung zur Übergabe doch kaum erfunden haben – nicht in seiner prekären Situation. Es sei denn, er hätte die ganze Mafiastory ebenfalls erfunden, und das schloss ich aus. Vielleicht log und bog er sich die Fakten zurecht; Angst jedenfalls hatte er. Und zwar nicht zu knapp.
Schau an, da kam der Blinkejogger zurück: rot und weiß, dass es ein Vergnügen war. Und ich verlor Koschak aus den Augen. Wo steckte der Kerl? Endlich fing ich ihn wieder ein. Er musste sich im Schatten eines der auf den Pfeilern errichteten Wehrhäuschen aufgehalten haben. Ich sah, wie er die Uhr kontrollierte, sich durch die Haare fuhr und den Kopf schüttelte. Nichts zu machen. Die Zeit verrann.
Kurz nachdem der Sportler auf seinem Rückweg auch an mir vorbeigekommen war, erschien ein neuer Kandidat am Nordende des Stegs. Ein Mann, zu Fuß und ohne Eile, aber kräftiger als der Alte vorhin. Er war noch ein gutes Stück von Koschak entfernt, als ein ferner Schrei die Stille zerriss.
Der Schrei einer Frau.
Meine Beine reagierten schneller als meine Gedanken. Ohne zu überlegen, rannte ich vor zur Vangerowstraße, um die Ecke, zum Treppenaufgang. Ich hatte ihn kaum erreicht, da fiel ein Schuss. Auch er kam vom nördlichen Ufer. Meine Füße trommelten auf die Bohlen des Stegs, ich keuchte, hatte keine Ahnung, was zu tun war. Dann, vor mir, das nächste Geräusch, ein dumpfes Röcheln: Koschak ging zu Boden, über ihm der Fußgänger, eine Hand zur Faust geballt.
»Polizei!«, brüllte ich, so laut ich konnte. »Ich mach dich fertig, du Streichholz! Gleich ist die Polizei da!«
Der Unbekannte hörte mich schreien, sah mich heranstürmen und gab Fersengeld. Flatsch, flatsch, flatsch, der Wehrsteg bebte unter unserem Getrampel. Ich erreichte den gefällten Journalisten, schnappte ihn am Kragen, zog ihn hoch.
»Alles in Ordnung?«
Koschak gab unverständliche Laute von sich. Kein Wunder, wenn einem das eigene Blut durch Nase und Gurgel schwappt. Er spuckte ein wenig davon aus, aber zum Reden langte es nicht.
»Wer war das, Koschak?«
»Roah …«
Nein, so kamen wir nicht weiter. Ein paar Meter entfernt sah ich den Koffer des Journalisten liegen. Darauf hatte es der Unbekannte also nicht abgesehen. Oder er hatte auf die Beute verzichtet, um Max Koller dem Rächer nicht in die Hände zu fallen.
»Ich krieg dich, du Windlicht!« Mit diesem Ruf stürzte ich dem Fliehenden hinterher. Schneller als heute war ich auch in jungen Jahren nie gewesen. Trotzdem, der Vorsprung des Mannes war zu groß. Wenn er nicht stürzte oder gegen ein Hindernis lief, würde ich ihn nicht einholen. Kümmerte mich das?
Es kümmerte mich nicht. Außerdem war da noch der Schrei. Gefühlte zehn Sekunden später hatte ich das Ende des Wehrstegs erreicht.
Das nördliche Neckarufer liegt etwas höher als das südliche, weshalb die Treppe hier weniger
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