BY704 - Der Rächer aus Sing-Sing
diese Lage gebracht. Jetzt mußte sie sehen, daß sie wieder herauskam. In den grünen Augen stand bereits wieder ein winziger Funke der alten Unerschrockenheit.
Gerade wollte sie sich in ihrem düsteren Gefängnis umsehen, als die Tür wieder geöffnet wurde.
Little Ben kam auf sie zu. Er grinste immer noch das gleiche Lächeln, das ihr gestern abend noch so gut gefallen hatte. Aber jetzt war ihr der unverschämte, abschätzende Blick seiner Augen unheimlich. Jetzt bemerkte sie auch den grausamen Zug, der um die vollen, fast weichen Lippen spielte.
Little Ben hielt eine Injektionsspritze in der Hand.
Im ersten Augenblick hätte Cheryl beinahe aufgeschrien vor Angst. Aber dann riß sie sich zusammen. Sie ahnte, was die Ampulle dieser Spritze enthielt. Und sie wußte, daß alles darauf ankam, die Nerven zu behalten.
»Rauschgift?« fragte sie so gelassen wie möglich.
Little Ben grinste undurchsichtig und kam näher.
Cheryl fühlte, wie kalte Schauer über ihren Rücken rannen. Aber sie blieb ruhig. »Ich finde, daß ich lange genug geschlafen habe. Wenn du irgend etwas von mir willst, dann sag es! Aber bleib mir mit dem Zeug vom Leib! Ich bin nicht hysterisch, und ich brauche keine Beruhigungsspritze.«
Little Ben hatte die Augenbrauen hochgezogen. In seinem Blick mischte sich Staunen mit einer gewissen Bewunderung. »Donnerwetter, Puppe!« sagte er. »Ich dachte, ich hätte es mit einem wohlbehüteten Millionärstöchterchen zu tun.«
»Das denkt mein Vater auch«, unterbrach ihn Cheryl. Dann, um ihn endgültig von der Injektionsspritze abzulenken, sah sie ihm mit gutgespielter Neugier ins Gesicht. »Habt ihr mich gekidnappt, um bei meinem Vater Dollars abzustauben?« wollte sie wissen.
Little Ben lachte laut. »Du begreifst aber schnell, mein Kind. Genau das haben wir vor.«
»Weiß er schon von der Sache?«
»Nein, bis jetzt noch nicht.«
»Na, der wird Augen machen! Ich kann mir sein Gesicht vorstellen.«
»Du sprichst, als wenn dir die ganze Sache Spaß machte«, unterbrach Little Ben sie mit gerunzelter Stirn.
»Na und?« Sie grinste. »Glaubst du vielleicht, es ist ein Vergnügen, immer nur mit langweiligen Leuten zu verkehren, bloß weil sie reich sind? Ich habe das schon lange öde gefunden. Hast du einen Drink für mich?«
Jetzt hatte sie endgültig gewonnen. Little Ben wandte sich ab. Seine Augen funkelten vor Vergnügen. »Du bist richtig, Puppe!« sagte er anerkennend, während er die Injektionsspritze weglegte und einen Schrank öffnete.
Er brachte eine Whiskyflasche hervor und reichte sie Cheryl. Sie nahm einen tiefen Schluck. Sofort spürte sie das belebende Brennen in Kehle und Magen. Dann setzte sie die Flasche ab und gab sie Little Ben zurück.
»Jetzt geht es mir besser«, seufzte sie. »Sag mal, muß ich die ganze Zeit in diesem Loch hier bleiben?«
Little Ben schraubte den Flaschenverschluß zu. »Nein. Ich bringe dich gleich in ein Zimmer, wo du sogar Gesellschaft hast.«
»Kann ich mich erst mal waschen?«
»Aber sicher.« Er packte sie am Arm und half ihr auf die Beine. Von einem wackligen Stuhl angelte er das Kleid und gab es ihr. Mit immer noch leicht zitternden Fingern zog sie es über und schloß die Knöpfe. Dann schob Little Ben sie hinaus auf den hellen Flur.
Einen Moment lang schloß sie die Augen, weil das Licht sie blendete. Dann sah sie sich blinzelnd um.
Die Tür des engen Verschlags führte auf einen Treppenabsatz. Unten war Stimmengewirr zu hören. Oben mündete die Treppe auf einen Gang. Als Cheryl hinaufsah, öffnete sich gerade eine der Türen. Ein Mann kam heraus und lief die Treppe hinunter.
Cheryl kannte ihn nicht. Er war kleiner als Little Ben, breit und wuchtig gebaut, hatte wulstige Lippen und öliges, schon leicht gelichtetes Haar. Seine kleinen schwarzen Augen blinzelten tückisch. Cheryl fühlte wieder, wie ein Schauer über ihren Rücken rann. Aber sie riß sich zusammen. »Hallo!« sagte sie so forsch wie möglich.
Der Mann blieb stehen, reckte den Schädel vor und starrte das rothaarige Girl überrascht an. Dann wandten sich seine Augen Little Ben zu.
»Wir haben einen guten Fang gemacht«, sagte Ben. »Mit diesem Girl wird es keinen Ärger geben. Der Rotschopf wird sich blendend als Bardame machen.«
»Bardame?« fragte Cheryl jetzt wirklich neugierig. »Soll ich in einer Bar arbeiten?«
Der bullige Mann musterte sie abschätzend, und Cheryl wurde sich ihres zerdrückten Kleides und ihrer unordentlichen Frisur bewußt. »Normalerweise
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