Bye Bye, Crazy Chick
»Zeig’s mir.«
Ich starrte ihm in die Augen. Ich dachte an meinen Vater und alle anderen miesen kleinen Tyrannen, die mir je an einem Tisch gegenübergesessen und verlangt hatten, dass ich mich beweise. Ich dachte daran, was ich schon alles verloren und wie viel ich noch zu verlieren hatte. Angesichts der bisherigen Ereignisse schien das nicht mehr viel zu sein.
»Warum stellst du dich an wie der letzte Idiot?«, fragte ich.
Morozov zog die Augenbrauen hoch, der Mund wurde noch ein wenig schmaler. »Was?«
»Hör zu, ich brauche eine Auskunft«, sagte ich und zeigte auf die Computerbildschirme. »Die du ganz offensichtlich besitzt. Aber wenn das so schrecklich schwierig ist …« Ich dachte an den Namen, den Pasha gerade erwähnt hatte. »Dann sollten wir zwei uns vielleicht mit Santamaria darüber unterhalten.«
Morozov sah auf. »Santamaria?«
»Genau … Santamaria. Was glaubst du, wer mich den ganzen Abend über verfolgt? Santamaria hat mir zwei Kerle auf den Hals gehetzt. Meinst du etwa, mir macht das
Spaß
, samstags mitten in der Nacht raus nach Red Hook zu fahren? Ich hab die Info über die beiden letzten Zielpersonen auf dem Weg hierher weggeschmissen und –«
»Du?« Er tippte mir mit einem krummen Finger an die Brust. »Du kennst Santamaria?«
»Sag ich doch.«
»Und du bist dir sicher, dass du von Santamarias Leuten verfolgt wirst?«
»Zwei schwer bewaffnete Söldnerschweine in einem schwarzen Hummer«, bestätigte ich. »Den Rest kannst du dir ausrechnen.«
»Das könnte sonst wer sein.«
»Willst du das Risiko eingehen?«
Morozov antwortete nicht. Er rauchte seine Zigarette zu Ende, ließ sie zu Boden fallen und trat sie mit dem Absatz aus. Im Hintergrund waren Männer zu hören, die auf den Bären einbrüllten, der zurückbrummte.
Morozov kratzte sich die Wange mit einem schwarzen Fingernagel und hielt mich weiter hin, bis ich den Ärmel hochzog und dahin sah, wo meine Uhr gewesen wäre, wenn ich eine getragen hätte. »Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit. Rückst du die Info jetzt raus oder nicht?«
Ohne auf mich zu achten, drehte er sich zu einer der Computertastaturen um und tippte einen Befehl ein. Eine Sekunde später wechselte das Bild auf dem Monitor über seinem Kopf und zeigte eine leere Küche.
»Augenblick mal«, rief ich. »Ist das unser
Haus
?«
»Das sind zwei Monate alte Aufzeichnungen.« Morozov klickte etwas anderes an. Der Bildschirm wechselte zum Flur im ersten Stock, aus der Vogelperspektive aufgenommen. Ich sah einen Riesenhaufen dreckiger Wäsche vor meiner Zimmertür liegen. Die Tür ging auf, und ich kam nur mit Boxershorts bekleidet heraus. Ich nahm ein Paar Socken vom Dreckwäschestapel, schnüffelte daran und zog sie dann an.
»Warum filmst du unser Haus?«
Morozov blinzelte. »Du hast mich dafür bezahlt.«
»Ich?«
»Du bist der Killer, oder nicht?«
»Ja klar.« Ich konnte mir selbst auf dem Bildschirm dabei zusehen, wie ich mich mit dem Gesicht vor einen Spiegel auf dem Flur hängte und einen Pickel ausdrückte. An den Pickel erinnerte ich mich genau. Er spross direkt auf meiner Nasenspitze und schien zwei Wochen lang nicht mehr weggehen zu wollen. Er hatte rot vor sich hin geglüht wie ein wütend pochendes kleines Herz.
»Faszinierend«, bemerkte Morozov. »Ein Killer mit Pickeln.«
»Also … hast du jetzt die Info zu den letzten beiden Anschlägen oder nicht?«
Er tippte wieder auf die Tastatur. Die Videoüberwachung unseres Hauses verschwand und Textspalten erschienen. Er scrollte nach unten und klickte auf einen Button. Eine Sekunde später spuckte der Laserdrucker neben seinen Füßen zwei Seiten aus.
»Danke.« Ich streckte die Hand nach den Blättern aus, doch er packte mein Handgelenk.
»Was ist das?«
Ich blickte hinunter auf das, was er da auf meinem Handrücken anstarrte.
UNTER 21.
»Gehört zu meiner Deckung«, sagte ich. »Ich –«
Er ließ mich nicht los. »Wie hieß der erste Mann, den du umgelegt hast?«
»Willst du mich testen?«
»Haargenau.« Jetzt grinste er mir unverschämt ins Gesicht, so nah, dass ich seinen Mundgeruch riechen konnte. »Genaudas will ich. Also, der erste Mann, den du heute Abend im 40/40 zur Strecke gebracht hast. Wie heißt er?«
»Das wird Santamaria aber gar nicht gefallen.«
»Santamaria interessiert das einen feuchten Dreck.«
Bevor ich ein weiteres Wort sagen konnte, nahm er meine Hand, knallte sie auf den Tisch und zückte mit der anderen das Springmesser. Er betrachtete meine Finger.
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