Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Ständern hingen zwei verblichene Filmposter – Der Mann auf dem Quai und The Golden Mistress. Kleinere Bilder französischer oder karibischer Filmstars, größtenteils Zeitungsausschnitte, waren mit gelbem Klebeband an der Wand befestigt.
Jessica und Byrne betraten diesen winzigen Videobereich. Es waren insgesamt etwa einhundert Videokassetten. Jessica sah sich die Titel an. Ausländische Filme, Kinderfilme und ein paar bekanntere amerikanische Spielfilme jüngeren Datums. Größtenteils in französischer Sprache.
Keiner der Titel sprang Jessica ins Auge. Wurde in einem dieser Filme ein Mord in einem Badezimmer verübt?, fragte Jessica sich. Wo blieb Terry Cahill? Er könnte es wissen. Jessica glaubte allmählich, dass die alte Dame sich alles nur eingebildet und dass ihr Enkel sich grundlos mit dem Fremden angelegt hatte. Dann sah sie es. Unten links im Regal stand eine Videokassette, über die in der Mitte zweimal ein Gummiband gewickelt war.
»Kevin«, sagte sie. Byrne trat zu ihr.
Jessica streifte einen Latexhandschuh über und griff kurz entschlossen nach der Kassette. Es bestand natürlich kein Grund zu der Annahme, dass ein Sprengkörper an der Videokassette befestigt war, aber niemand wusste, was der Killer noch alles auf Lager hatte. Nachdem Jessica den Videofilm aus dem Regal genommen hatte, ärgerte sie sich maßlos über ihre Leichtfertigkeit. Diesmal hatte sie Glück gehabt. Doch an der Kassette hing tatsächlich etwas.
Ein pinkfarbenes Nokia-Handy.
Vorsichtig drehte Jessica die Kassette um. Das Handy war eingeschaltet, doch auf dem kleinen Display war keine Anzeige zu sehen. Byrne öffnete einen durchsichtigen Plastikbeutel. Als Jessica die Kassette hineinwarf, wechselten sie einen Blick.
Sie ahnten beide, wem das Handy gehörte.
***
Ein paar Minuten später standen sie vor dem abgesperrten Geschäft und warteten auf die Spurensicherung. Sie schauten die Straße hinauf und hinunter. Die Filmcrew war noch immer dabei, Geräte abzubauen, Müll einzusammeln, Kabel aufzurollen, Scheinwerfer auf den Lastwagen zu laden und die Tische auseinanderzubauen, auf denen während des Drehs Snacks serviert worden waren. Jessicas Blick schweifte über die Arbeiter. Suchte sie den Filmemacher? Könnte einer dieser Arbeiter für die abscheulichen Verbrechen verantwortlich sein? Sie warf Byrne einen Blick zu. Er starrte auf die Fassade des Geschäfts. Jessica sprach ihn an.
»Warum hier?«, fragte sie.
Byrne zuckte mit den Schultern und schaute wieder auf die Fassade des Geschäfts. »Vielleicht weil er weiß, dass wir die Videotheken überwachen«, sagte Byrne. »Wenn er eine Kassette unbemerkt in ein Regal stellen will, muss er es in so einem Geschäft tun.«
Jessica dachte darüber nach. Wahrscheinlich hatte Byrne recht. »Müssten wir dann nicht auch die Bibliotheken überwachen?«
Byrne nickte. »Vermutlich.«
Ehe Jessica antworten konnte, stellte jemand Funkkontakt zu ihr her. Die Stimme war verstellt und unverständlich. Jessica zog das Funkgerät vom Gürtel und drehte die Lautstärke auf. »Bitte wiederholen.«
Ein paar Sekunden statischer Störungen, dann: »Das verdammte FBI hat vor nichts Respekt.«
Es hörte sich nach Terry Cahill an. Nein, das konnte nicht sein. War das möglich? Wenn es seine Stimme war, musste sie sich verhört haben. Jessica und Byrne wechselten einen Blick. »Bitte noch einmal.«
Wieder Störungen. Dann: »Das verdammte FBI hat vor nichts Respekt.«
Jessicas Magen verkrampfte sich. Das kam ihr bekannt vor. Diesen Satz sprach Sonny Corleone in Der Pate. Sie hatte den Film zig Mal gesehen. Terry Cahill machte keine Scherze. Nicht in einer solchen Situation.
Terry Cahill war in Schwierigkeiten.
»Wo sind Sie?«, fragte Jessica.
Schweigen.
»Agent Cahill«, rief Jessica. »Was ist los?«
Totenstille. Eisiges Schweigen.
Dann hörten sie den Schuss.
»Schüsse!«, rief Jessica in ihr Funkgerät. Instinktiv rissen die beiden Detectives ihre Waffen aus den Halftern. Sie schauten in alle Richtungen. Keine Spur von Cahill. Die Funkgeräte hatten eine begrenzte Reichweite. Weit konnte er nicht sein.
Binnen Sekunden hatte sich der Funkspruch ›Officer in Not‹ wie ein Lauffeuer verbreitet. Als Jessica und Byrne die Ecke Dreiundzwanzigste und Moore erreicht hatten, stand dort bereits an allen vier Ecken ein Streifenwagen. Die Streifenbeamten sprangen aus ihren Wagen. Aller Blicke wandten sich Jessica zu. Sie wies die Beamten an, die Kreuzung zu sichern, ehe sie und Byrne
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