Byrne & Balzano 02 - Mefisto
bis in die Unendlichkeit hinzog. In ihren Vorstellungen war der Ton ein wunderschöner Regenbogen vor einem schneeweißen Hintergrund.
Als sie ihn zum ersten Mal an der Bushaltestelle am Rittenhouse Square gesehen hatte, fand sie ihn ganz nett, wenn auch vielleicht ein bisschen doof. Er hatte im Wörterbuch der Gebärdensprache gelesen und versucht, das Alphabet mit den Händen zu formen. Sie hatte sich gewundert, warum er versuchte, die amerikanische Gebärdensprache zu erlernen, und war zu dem Schluss gekommen, dass er entweder einen gehörlosen Verwandten hatte oder ein gehörloses Mädchen beeindrucken wollte, doch sie hatte ihn nicht gefragt.
Als sie ihn am Logan Circle zum zweiten Mal getroffen hatte, war er sehr hilfsbereit gewesen und hatte ihre Einkaufstaschen zur SEPTA-Haltestelle getragen.
Und dann hatte er sie in den Kofferraum seines Wagens gestoßen.
Womit dieser Mann jedoch nicht gerechnet hatte, war ihre Disziplin. Ohne Disziplin würden Menschen, die mit weniger als fünf Sinnen auskommen mussten, verrückt. Colleen wusste das ebenso wie all ihre gehörlosen Freunde. Es war die Disziplin, die ihr half, die Angst zu bezwingen, aus der Welt der Hörenden ausgeschlossen zu werden. Es war die Disziplin, die ihr half, die hohen Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen. Mit Disziplin würde sie auch dies hier meistern. Wenn dieser Mann glaubte, sie hätte niemals etwas so Furchtbares wie sein seltsames, widerwärtiges Spiel erlebt, kannte er mit Sicherheit kein einziges gehörloses Mädchen.
Ihr Vater würde ihr zu Hilfe eilen. Er hatte sie niemals im Stich gelassen. Niemals.
Und so wartete sie. Diszipliniert und voller Hoffnung.
In der Stille.
83.
Es war eine Handy-Datenübertragung. Mateo kam mit einem Laptop in den Dienstraum und loggte sich ins Internet ein. Er vermutete, dass es sich bei dem Aufnahmegerät um eine Webcam handelte, die mit einem Laptop verbunden war, und dass die Daten dann mittels eines Handys gesendet wurden. Ein Handy aufzuspüren war bedeutend schwerer, denn im Gegensatz zu einem Festanschluss, der mit einer festen Adresse verbunden war, musste das Signal eines Mobiltelefons zwischen Funkmasten geortet werden.
Binnen weniger Minuten wurde ein Antrag auf die Ortung des Handys an das Büro des Bezirksstaatsanwalts gefaxt. Normalerweise dauerte so eine Genehmigung Stunden. Heute nicht. Paul DiCarlo brachte sie persönlich von seinem Büro in der Arch Street 1421 zur obersten Etage des Gerichtsgebäudes, wo Richter Liam McManus den Antrag unterschrieb. Zehn Minuten später hatte die Mordkommission die Sicherheitsabteilung der Mobiltelefongesellschaft an der Strippe.
Detective Tony Park, ein Familienmensch Ende vierzig, war der anerkannte Spezialist der Abteilung, wenn es um Handys ging. Er gehörte zu den wenigen koreanisch-amerikanischen Detectives in der Behörde und strahlte große Ruhe aus. Heute war dieser Charakterzug ebenso wie seine guten elektronischen Kenntnisse für die Kollegen von entscheidender Bedeutung. In der Abteilung herrschte schreckliche Anspannung.
Park telefonierte über den Festanschluss und gab den Fortschritt der Ortung an die ängstlichen Detectives in dem Raum weiter. »Sie lassen es nun durch ein Ortungsprogramm laufen«, sagte Park.
»Haben sie schon Ergebnisse?«, fragte Jessica.
»Noch nicht.«
Byrne lief wie ein Tiger im Käfig durch den Raum. Ein Dutzend Detectives hielten sich im Dienstzimmer oder in der Nähe auf und warteten auf den Startschuss. Sie brauchten zumindest einen Anhaltspunkt, um mit der Suche beginnen zu können. Es gab nichts, was Byrne hätte trösten oder beruhigen können. All diese Männer und Frauen hatten Familie. Es hätte auch sie treffen können.
»Wir haben eine Bewegung«, sagte Mateo und zeigte auf den Monitor des Laptops. Die Detectives scharten sich um ihn.
Der Mann in dem roten Mönchskostüm zog einen anderen Mann ins Bild. Es war Ian Whitestone. Er trug die blaue Jacke. Er sah aus, als würde er unter Drogen stehen. Sein Kopf fiel von einer Seite auf die andere. Auf seinem Gesicht oder den Händen war kein Blut zu sehen.
Whitestone prallte neben Colleen gegen die Wand. Die beiden boten in dem grellweißen Licht einen grässlichen Anblick. Jessica fragte sich, wer diese Bilder wohl noch zu Gesicht bekam. Hatte dieser Irre die Webadresse an die Medien weitergegeben? Hatte er sie im ganzen Internet verbreitet?
Dann ging die Gestalt in der Mönchsrobe auf die Kamera zu und drehte das Objektiv. Das Bild war
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