Byrne & Balzano 02 - Mefisto
aufgrund der mangelnden Auflösung und der schnellen Bewegungen verschwommen und körnig. Als das Bild sich stabilisierte, war ein Doppelbett mit zwei billigen Nachtschränken und Lampen zu sehen.
»Das ist der Film«, rief Byrne mit krächzender Stimme. »Er will den Film nachspielen.«
Mit Übelkeit erregender Klarheit erkannte auch Jessica das Bühnenbild wieder. Es war eine Nachbildung des Motelzimmers in Philadelphia Skin.
Der Filmemacher wollte den Film Philadelphia Skin mit Colleen Byrne in der Rolle von Angelika Butler nachspielen.
Sie mussten ihn finden.
»Sie haben den Funkmast«, sagte Park. »Er deckt eine Teilfläche Nord-Philadelphias ab.«
»Wo in Nord-Philadelphia?«, fragte Byrne, der in der Tür stand, zitternd vor Erregung. Er schlug dreimal mit der Faust gegen den Türrahmen. »WO?«
»Sie arbeiten daran«, sagte Park. Er zeigte auf eine Karte auf einem der Monitore. »Sie haben das Gebiet auf diese beiden Blocks eingeschränkt. Geht auf die Straße. Ich gebe euch den Weg an.«
Byrne war schon weg, ehe Park den letzten Satz beendet hatte.
84.
In all den Jahren hatte sie sich nur einmal gewünscht, hören zu können. Nur ein einziges Mal. Und das war noch gar nicht so lange her. Zwei ihrer hörenden Freundinnen hatten Tickets für John Mayer. John Mayer war der absolute Hammer. Dunkles Haar, dunkle Augen. Ihre hörende Freundin Lula hatte ihr John Mayers Album Heavier Things vorgespielt. Sie hatte die Lautsprecher berührt, den Bass und die Vokale gefühlt. Sie kannte seine Musik. Sie kannte sie genau.
Jetzt wünschte sie sich, hören zu können. In dem Raum hielten sich zwei Personen auf, und wenn sie die Personen hätte hören können, hätte sie vielleicht einen Ausweg gefunden.
Wenn sie hören könnte…
Ihr Vater hatte ihr oft erklärt, was er beruflich machte. Sie wusste, dass es gefährlich war, was er tat, und dass die Menschen, die er verhaftete, die schlimmsten Menschen auf der Welt waren.
Sie stand mit dem Rücken zur Wand. Der Mann hatte ihr die Kapuze abgenommen, und das war gut so. Sie bekam furchtbar schnell Platzangst. Doch jetzt blendete sie das grelle Licht. Wenn sie nichts sehen konnte, konnte sie nicht kämpfen.
Und sie war bereit zum Kampf.
85.
Der Abschnitt der Germantown Avenue in der Nähe der Indiana Street war ein ehemals stolzer, doch seit langem im Verfall begriffener Stadtbezirk aus Reihenhäusern und Geschäften, ein über zehn Quadratkilometer großes Gebiet in den Gettos Nord-Philadelphias, das sich von der Erie Avenue nach Süden bis Spring Garden und von der Ridge Avenue bis zur Front Street erstreckte.
Mindestens in einem Viertel der Häuser auf diesem Straßenabschnitt waren Einzelhandelsgeschäfte untergebracht, von denen die meisten allerdings leer standen. Eine geballte Ansammlung zweistöckiger, miteinander verbundener Gebäude mit kleinen Gassen dazwischen. Es war eine entmutigende und kaum zu bewältigende Aufgabe, sie alle zu durchsuchen. Wenn die Polizei einer Handyspur nachjagte, besaß sie in der Regel einige zusätzliche Informationen, mit denen sie arbeiten konnten: einen Verdächtigen, der einen Bezug zu dem Viertel hatte, einen der Polizei bekannten Verbündeten, die Adresse eines Bekannten oder Verwandten. Heute hatten sie nichts. Sie hatten bereits alle Überprüfungen durchgeführt, die sie durchführen konnten: frühere Adressen, Eigentum, Anschriften von Verwandten. Sie hatten nichts gefunden, was eine Verbindung zwischen Nigel Butler und diesem Viertel hergestellt hätte. Sie mussten buchstäblich jeden Quadratzentimeter dieses Gebietes durchkämmen, ohne irgendeinen Anhaltspunkt zu haben.
So wichtig der Zeitfaktor auch war – sie bewegten sich auf dünnem Eis, was die Rechtslage betraf. Obwohl sie in diesem Fall genug Spielraum hatten, um ein Haus zu stürmen, wenn die Gefahr bestand, dass jemand hier zu Schaden kam, war es klüger, die Anwohner nicht durch diesen Einsatz zu verschrecken.
Um ein Uhr hatten sich in diesem Viertel fast zwanzig Detectives und Streifenbeamte eingefunden. Sie bewegten sich wie eine blaue Wand durch die Gegend, hielten das Foto von Colleen Byrne hoch und stellten immer wieder dieselben Fragen. Aber diesmal lag der Fall für die Detectives anders. Diesmal mussten sie sich in Sekundenschnelle ein Bild von der Person auf der anderen Seite der Schwelle machen: Kidnapper, Killer, Irrer, Unschuldiger.
Diesmal ging es um einen aus ihren Reihen.
Byrne blieb hinter Jessica zurück, die klingelte und
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