Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Richtig fette Qualität.«
Jessica machte sich ein paar Notizen. »Fällt Ihnen jemand ein, der sich oft Hitchcock-Filme ausleiht? Oder jemand, der danach gefragt hat?«
Lenny dachte nach. »Eigentlich nicht.« Er drehte sich zu seiner Kollegin um. »Jools?«
Das Mädchen in dem glänzenden gelben Taftkleid schluckte und schüttelte den Kopf. Ein Besuch der Polizei löste bei ihr keine Begeisterung aus.
»Tut mir leid«, fügte Lenny hinzu.
Jessica blickte in alle vier Ecken des Geschäfts. In den hinteren beiden Ecken waren Überwachungskameras installiert. »Haben Sie die Bänder dieser Kameras?«
Lenny schnaubte. »Nee. Das sind bloß Attrappen. Unter uns gesagt, sind wir froh, dass an der Eingangstür ein Schloss hängt.«
Jessica reichte Lenny zwei Visitenkarten. »Wenn einem von Ihnen noch etwas einfällt, das mit diesem Film zusammenhängt, rufen Sie mich bitte an.«
Lenny hielt die Visitenkarten fest, als drohten sie jeden Augenblick in seinen Händen zu explodieren. »Klar. Kein Problem.«
Als die beiden Detectives die Straße zum Taurus hinuntergingen, schossen ihnen tausend Fragen durch den Kopf. Ganz oben auf der Liste stand die Frage, ob sie nun in einem Mordfall ermittelten oder nicht. Detectives in Philadelphia standen häufiger vor diesem Problem. Sie hatten es immer mit zig Fällen zu tun, und wenn sie auch nur den geringsten Verdacht hatten, dass es sich bei dem Mordfall, in dem sie ermittelten, möglicherweise um einen Selbstmord oder einen Unfall oder etwas anderes handelte, meckerten und jammerten sie in der Regel so lange, bis sie die Erlaubnis erhielten, den Fall abzugeben.
Aber der Boss hatte ihnen einen Job übertragen, und den mussten sie ausführen. Die meisten Mordermittlungen begannen mit einem Tatort und einem Opfer. Es gab selten Fälle, die vorher begannen.
Sie stiegen in den Wagen und fuhren zu Mr. Isaiah Crandall, dem Fan von Filmklassikern, der möglicherweise geistig verwirrt war und der gesuchte Killer sein könnte.
Gegenüber der Videothek stand im Schatten eines Hauseingangs ein Mann und beobachtete das Drama, das sich im Reel Deal abspielte. Er war in jeder Beziehung eine vollkommen unauffällige Erscheinung, sah man von seiner Fähigkeit ab, sich seiner Umgebung wie ein Chamäleon anzupassen. In diesem Augenblick hätte man ihn für Harry Lime in Der dritte Mann halten können.
Ein paar Stunden später könnte er Gordon Gekko in Wall Street sein.
Oder Tom Hagen in Der Pate.
Oder Babe Levy in Der Marathon Mann.
Oder Archie Rice in Der Entertainer.
Wenn er nämlich vor sein Publikum trat, konnte er in die Rollen verschiedenster Männer schlüpfen und die unterschiedlichsten Charaktere verkörpern. Er konnte Arzt, Hafenarbeiter oder Schlagzeuger in einer Kneipenband sein. Er konnte einen Priester, einen Portier, einen Bibliothekar, einen Reisebürokaufmann und sogar einen Polizisten spielen.
Er war ein Mann im Schatten, der Mefisto mit tausend Gesichtern, begabt in der Kunst, Dialekte nachzuahmen und sich auf der Bühne zu bewegen. Er konnte jede Rolle spielen, die der Tag von ihm verlangte.
Und genau darin bestand schließlich die schauspielerische Leistung.
9.
Gut 10.000 Meter über Altoona, Pennsylvania, entspannte Seth Goldman sich allmählich. Für einen Mann, der seit vier Jahren im Durchschnitt drei Tage die Woche in einem Flugzeug verbrachte – sie waren gerade in Philadelphia gestartet, flogen nach Pittsburgh und würden in ein paar Stunden zurückkehren –, war er noch immer ein sehr ängstlicher Passagier. Jede Turbulenz und jedes Luftloch versetzten ihn in Angst und Schrecken.
Aber nun entspannte er sich in dem gut ausgestatteten Learjet. Wenn man schon fliegen musste, war es ganz angenehm, auf einem butterweichen Ledersitz zu sitzen, mit Wurzelholz- und Metallverkleidungen ringsum und einer Bordküche, die alles anbot, was das Herz begehrte.
Ian Whitestone saß hinten in dem Jet. Er hatte die Schuhe ausgezogen, die Augen geschlossen und Kopfhörer aufgesetzt. In einer Situation wie dieser, wenn Seth wusste, wo sein Boss war, wenn alle Termine für den Tag geplant waren und für ihre Sicherheit gesorgt war, erlaubte er sich zu entspannen.
Seth Goldman wurde vor siebenunddreißig Jahren als Jerzy Andres Kiedrau in ärmlichen Verhältnissen in Muse, Florida, geboren. Der einzige Sohn einer eigensinnigen Frau und eines herzlosen Mannes war eine ungeplante, unerwünschte Spätgeburt, und das hatte sein Vater ihn auch spüren lassen.
Wenn Krystof
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