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Byrne & Balzano 02 - Mefisto

Byrne & Balzano 02 - Mefisto

Titel: Byrne & Balzano 02 - Mefisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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Kiedrau ausnahmsweise einmal nicht seine Frau schlug, dann verprügelte und beschimpfte er seinen einzigen Sohn. In manchen Nächten waren die Streitereien seiner Eltern so laut und die Schläge so brutal, dass der kleine Jerzy aus dem Wohnwagen floh und weit ins Gestrüpp hineinlief, das den Wohnwagenpark begrenzte. Wenn er dann im Morgengrauen nach Hause zurückkehrte, war sein Körper von den Stichen unzähliger Käfer und Hunderter Moskitos übersät.
    In diesen Jahren hatte Jerzy einen Trost: Filme. Mit verschiedenen Gelegenheitsjobs verdiente er sich ein bisschen Geld. Er schrubbte Wohnwagen, arbeitete als Botenjunge und reinigte Swimmingpools. Sobald er genug Geld für eine Nachmittagsvorstellung hatte, trampte er nach Palmdale und ging ins Lyceum.
    Er erinnerte sich an viele Nachmittage in der kühlen Dunkelheit des Kinos – eines Ortes, wo er in eine Fantasiewelt eintauchen konnte. Schon früh erkannte er die Macht des Mediums, die Zuschauer in den Bann zu ziehen und Begeisterung, Spannung und Grusel zu erzeugen. So entstand eine Liebesaffäre, die niemals endete.
    Wenn er nach Hause zurückkehrte und seine Mutter nicht betrunken war, sprach er mit ihr über den Film, den er sich angesehen und in dem sie mitgespielt hatte. Seine Mutter wusste alles über Filme. Sie war einst Schauspielerin gewesen und hatte in mehr als einem Dutzend Filmen mitgewirkt. Ihr Debüt hatte sie als junges Mädchen Ende der Vierzigerjahre unter dem Künstlernamen Lily Trieste gegeben.
    Sie hatte mit allen bedeutenden Regisseuren des Film noir gedreht: Dmytryk, Siodmak, Dassin, Lang. Der glanzvolle Moment ihrer Karriere – einer Karriere, in der sie größtenteils in dunklen Gassen herumlungerte und mit ein paar leidlich gut aussehenden Männern mit dünnen Schnurrbärten und in Zweireihern mit angenähten Revers filterlose Zigaretten rauchte – war eine Szene mit Franchot Tone, in der sie einen von Jerzys Lieblingssätzen aus der Schwarzen Serie sprach. Sie stand im Eingang eines alten Mietshauses, in dem es kein heißes Wasser und keinen Fahrstuhl gab, und hatte soeben aufgehört, ihr Haar zu bürsten, als sie sich zu dem Schauspieler umdrehte, der von den Polizisten weggeführt wurde, und sagte:
    »Ich habe den ganzen Morgen damit verbracht, dich zu vergessen, Baby. Zwing mich nicht, dir jetzt Adieu zu sagen.«
    Als sie Mitte dreißig war, fand die Filmindustrie keine rechte Verwendung mehr für sie. Da sie keine Lust hatte, in die Rolle verrückter Tanten zu schlüpfen, zog sie zu ihrer Schwester nach Florida, wo sie ihren zukünftigen Ehemann kennen lernte. Ihre Karriere war lange vorbei, als sie im Alter von siebenundvierzig Jahren Jerzy zur Welt brachte.
    Bei Krystof Kiedrau wurde im Alter von sechsundfünfzig Jahren eine fortgeschrittene Leberzirrhose diagnostiziert, nachdem er seit fünfunddreißig Jahren jeden Tag eine Flasche billigen Whiskey getrunken hatte. Die Ärzte sagten ihm, dass er in ein Koma fallen und sterben würde, wenn er noch einen einzigen Tropfen Alkohol anrührte. Diese düstere Vorhersage jagte Krystof Kiedrau einen solch gewaltigen Schrecken ein, dass er ein paar Monate trocken blieb. Doch nachdem er seinen Teilzeitjob verloren hatte, goss er sich kräftig einen hinter die Binde und kam sturzbetrunken nach Hause.
    In jener Nacht schlug er seine Frau mit schrecklicher Brutalität. Beim letzten Schlag prallte sie mit dem Kopf auf den spitzen Griff einer Vitrine, der eine tiefe Wunde an ihrer Schläfe hinterließ. Als Jerzy aus Moore Haven zurückkehrte, wo er regelmäßig ein Autohaus ausfegte, war seine Mutter in einer Ecke der Küche verblutet. Sein Vater saß auf seinem Stuhl – eine halbe Flasche Whiskey in der Hand, drei volle Flaschen neben ihm auf dem Tisch, und das mit Fettflecken übersäte Hochzeitsalbum auf dem Schoß.
    Es war ein Glück für den jungen Jerzy, dass Krystof Kiedrau zu betrunken war, um aufzustehen, geschweige denn, über seinen Sohn herzufallen.
    Spät in der Nacht goss Jerzy seinem Vater ein Glas Whiskey nach dem anderen ein, wobei er ab und zu ein bisschen nachhelfen und das schmutzige Glas an die Lippen des Mannes führen musste. Als um Mitternacht noch zwei Flaschen übrig waren, verlor Krystof immer wieder für kurze Zeit das Bewusstsein und konnte das Glas nicht mehr halten. Jetzt goss Jerzy den Whiskey direkt in die Kehle seines Vaters. Um halb fünf hatte sein Vater vier Flaschen intus, und um genau zehn Minuten nach fünf an jenem Morgen fiel er in ein Leberkoma.

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